„Ich glaube, wir werden sehr überrascht sein, wo wir in ein paar Jahren sind“, sagt Brett Bissell, Chief Operating Officer (COO) für Kontraktlogistik beim international operierenden Supply-Chain-Unternehmen CEVA Logistics. Mit „wir“ meint er die Gesellschaft, aber auch die Logistikbranche, die sich aktuell mit Trends konfrontiert sieht, die für Umwälzung stehen: Online-Handel, Automatisierung, selbstfahrende Fahrzeuge, Big Data. „Keines dieser Schlagworte wird Sie überraschen“, sagt Bissell. „Aber es wird die Lagerhallen enorm verändern.“
Die Logistik ist eine sehr vielschichtige Branche. Denn sie transportiert für eine breite Masse anderer Branchen Güter, Rohstoffe oder Ersatzteile von A nach B. Dabei hat das Containerschiff wenig gemeinsam mit der Express-Sendung der Post. Aus Sicht eines Intralogistik-Anbieters wie der KION Group sind vor allem zwei Segmente interessant: Fracht-Logistik, meist über Straßen, bei der Logistikunternehmen eigene Zwischenstationen und Umschlagplätze betreiben. Und die Kontraktlogistik, bei der Kunden den Betrieb von kompletten Lagerhallen an Logistiker ausgliedern. Allein in Europa ein Markt von knapp 400 Milliarden Euro und mit 40 Prozent Anteil längst das bei weitem größte Segment der Branche. Der Vorteil für die Kunden: Sie sparen sich Personalkosten, Planung, Investitionen, und schließen stattdessen Verträge mit den Logistikern ab. Die wiederum spüren bei immer kürzeren Laufzeiten gleichzeitig Kosten- und Innovationsdruck.
Totale Transparenz
„Wir erleben seit Jahren einen enormen Wandel“, sagt Erik Wirsing, Head of Innovation bei DB Schenker, mit 16 Milliarden Dollar Umsatz unter den fünf größten Logistikunternehmen weltweit: „Geschäftsmodelle verändern sich, und Logistiker sind dabei Treiber und Getriebene: Sie müssen Optimierungen aufzeigen und dies bei einer gleichzeitig enorm gestiegenen Transparenz. Genau diese Transparenz gilt es konsequent auszubauen, um dadurch eine neue Form von Mehrwert entlang der Supply Chain zu etablieren.“ Dank diverser Sensoriklösungen, Vernetzungen auf Online-Plattformen und Big-Data-Analysen weiß heute prinzipiell jeder jederzeit, was wo verfügbar ist.
Dies geht sogar so weit, dass exakte Temperatur, mögliche Erschütterung, Luftfeuchte und weitere Zustände der Sendung jederzeit einsehbar sind und eine aktive Alarmierung über Abweichungen informiert. Früher, so schildert Wirsing, empfanden Kunden die Logistik als kompliziert und undurchsichtig. Heute fordern die Kunden Transparenz vehement ein. Das immer stärker digital geprägte Umfeld hat gleichzeitig unzählige Start-Ups hervorgerufen, die mit ihren Ideen den etablierten Unternehmen Konkurrenz machen. „Alle bekommen Spaß an Logistik“, drückt Wirsing es aus – bis hin zu Größen wie Amazon oder Google.
Vorteile aus der Technik ziehen
Die Branchengrößen behaupten sich gegen die neue Konkurrenz vorerst noch, weil sie über Infrastruktur, Fahrzeugflotten und Erfahrung verfügen. „Wir sind häufig in der Rolle, dass wir Kunden beraten: Welche Innovation ist sinnvoll für dich?“, sagt Dennis Farwick, Leiter Business Innovation Contract Logistics bei DB Schenker.
Das allerdings bedeutet auch: Kunden erwarten von den Logistikern immer umfassenderen Service. „Kunden bezahlen uns nicht mehr dafür, dass wir einen Stapler einsetzen, sie bezahlen uns für Service, transparente Prozesse und Lieferfähigkeit“, beschreibt Wirsing: „Deswegen ist es unser Ziel, Prozesse von der Digitalisierung über die Automatisierung bis hin zur Autonomisierung zu entwickeln.“ Dieser Dreiklang, diese Reihenfolge ist Wirsing wichtig: Erst auf den Einsatz von digitalen Daten kann die sinnvolle Verwendung von automatisierten Maschinen folgen – und erst daraus folgt dann zum Beispiel ein sich selbständig orientierendes Fahrzeug. „Wir müssen konkrete Vorteile aus der Technik ziehen“, sagt Wirsing, „und durch ihren Einsatz Mehrwert für unsere Kunden und uns erzielen.“
Gewünscht: Flexibel einsetzbare Fahrzeuge
Auch CEVAs Brett Bissell sieht viel Potential bei automatisierten Fahrzeugen: „Die sind sehr flexibel, viel flexibler als zum Beispiel Förderbänder“, sagt der COO. Flexibilität ist ein zentrales Stichwort in einer Branche, die von kurzfristigen Verträgen für verschiedene Kunden geprägt ist, und von saisonalen Schwankungen. Allerdings sehen die Logistiker bei den automatisierten Fahrzeugen (Automated Guided Vehicles, kurz AGVs) noch viel Luft nach oben. „Die AGVs müssen noch schneller fahren können“, bekräftigt Farwick. Am besten so schnell wie menschliche Fahrer – nur ohne den damit verbundenen Risikofaktor. Noch gibt es bis dahin technische und regulatorische Fragen zu lösen. Sensoren müssten künftig nicht mehr nur auf dem Fahrzeug angebracht sein, sondern in der gesamten Halle, spekuliert Farwick: „Das Fahrzeug soll wissen, dass die Kreuzung 20 Meter voraus gerade frei ist.“
Weiteres Optimierungspotenzial erhoffen sich die Logistikunternehmen vor allem davon, ihre Prozesse künftig noch besser analysieren zu können. „Wenn wir aus hundert Fahrzeugen, die identische Aufgaben übernehmen, Daten erheben, dann lassen sich dadurch Schlussfolgerungen für den optimalen Einsatz ziehen – und so wiederum effizientere Betriebsabläufe etablieren“, sagt Bissell. Er sieht die Branche deswegen besonders an Standard-Fahrzeugen interessiert, die sich zum einen vergleichen lassen und außerdem schnell von einem Einsatzort an einen anderen verschoben werden können. „Das ist besser als ein spezialisiertes Fahrzeug, das wir nirgendwo anders einsetzen können“, sagt Bissell und fügt hinzu: „Der Traum wäre natürlich ein Fahrzeug, das sich je nach Aufgabe leicht anpassen und konfigurieren ließe.“
„Beratet uns!“
Wenn es ans Wünschen geht, hätten auch die zwei Experten von DB Schenker eine Reihe von Ideen: „Ein automatisierter Stapler, der sofort mit einer neuen Halle vertraut ist“, sagt Wirsing. Überhaupt: Noch bessere Sensoren und Scanner, die zum Beispiel automatisch Barcodes erfassen können: „Jede Unterbrechung stört die Wertschöpfung.“ Dazu zählen in der Logistik notgedrungen Scans, Dateneinträge und Abfragen. Intelligente Fahrzeuge könnten die Lösung sein. Derselben Logik folgt auch der Wunsch nach einer „ewigen Batterie“ oder zumindest einem Antriebssystem, das sich so schnell wie möglich aufladen lässt. Bei allen Vorschlägen geht es letztlich um Kostensenkung und Effizienz. „In der Transportlogistik geht es hierbei beispielsweise um Buchungsplattformen und Optimierungen innerhalb der Umschlagspunkte. In der Kontraktlogistik aber kann ein kundenindividuellerer Ansatz eingefordert werden“, beschreibt Farwick.
Technik um der Technik willen werde man allerdings nicht kaufen. „Eine Innovation muss Wert generieren“, sagt Farwick. Allerdings sei sich DB Schenker sehr wohl bewusst, dass es sinnvoll, ja sogar notwendig sein kann, frühzeitig in Innovationen zu investieren. „Wenn wir von Anfang an nur auf harte Kennzahlen schauen, werden wir hinterherlaufen.“ Das wäre schädlich, gerade für eine Branche, die immer nach Möglichkeiten sucht, effizienter zu werden. Auch deswegen hat Brett Bissell von CEVA eine Botschaft an Hersteller wie Linde: „Beratet uns! Wir brauchen eure Ideen, wo wir Dinge verbessern und neue Technologien einsetzen können.“ Oder wie es Wirsing ausdrückt: „Wir brauchen Partner. Die Welt dreht sich immer schneller.“