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Fraunhofer-Institut IML und KION Group: Die Schwarmrobotik hält mit dem neuen LoadRunner künftig Einzug ins Warenlager

Wir schreiben das Jahr 2021. In der „Silicon Economy“, der digitalen Plattformökonomie der Zukunft, organisieren sich Fahrzeugschwärme selbst und kommunizieren mit Menschen, anderen Schwärmen und Plattformen, um ihre Mission zu erfüllen. Was hier wie Science-Fiction klingt, ist in Dortmund bereits Realität. Mit dem „LoadRunner“ hat das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML einen weltweiten Meilenstein in der Schwarmrobotik gesetzt und eine neue Generation Fahrerloser Transportfahrzeuge entwickelt, die sich mithilfe Künstlicher Intelligenz und Kommunikation über 5G bei hohen Geschwindigkeiten eigenständig im Schwarm organisieren kann und eine enorme Sortierleistung erreicht. Gemeinsam mit KION sollen die kleinen Flitzer nun zur Marktreife weiterentwickelt werden. Tobias Zierhut, Leiter von KION Mobile Automation, erklärt im Interview, was das für die KION Group bedeutet.

2021-12-01

Ein High-Speed-Schwarm von kleinen flachen Fahrzeugen saust über den Hallenboden und organisiert sich mithilfe verteilter und intelligenter Fahrzeugkoordination selbst. Sie nehmen komplett autonom Pakete auf und legen diese an der richtigen Stelle wieder ab, ohne dass sie miteinander kollidieren. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML sowie Expertinnen und Experten der KION Group arbeiten im gemeinsamen Dortmunder „Enterprise Lab“ an der Weiterentwicklung und Skalierung des Systems. Ihr gemeinsames Ziel: Den Prototyp zur Marktreife zu bringen und damit den Weg zu ebnen für eine neue Generation autonomer Transportfahrzeuge, die die Intralogistik mit Künstlicher Intelligenz (KI) revolutionieren soll.

Der ideale logistische Raum ist leer

Das LoadRunner-Projekt baut auf der Zukunftsvision einer infrastrukturreduzierten Logistik auf – einer Vision, bei der der ideale logistische Raum leer ist, da nur mit hoher Flexibilität und Skalierbarkeit der hohen Dynamik der heutigen Logistik begegnet werden kann. Inbetriebnahmezeiten von Logistikflächen sowie der Rückbau von technischen Anlagen müssen schnell und kostenoptimal realisiert werden können. Mit dem „LoadRunner“ sind die Dortmunder Wissenschaftler dieser Vision ein Stück nähergekommen. Er ist eine konsequente Weiterentwicklung von Konzepten ohne feste Installation in der Gebäudeinfrastruktur, die sich universell nutzen lassen.

Die LoadRunner nehmen komplett autonom Pakete auf und legen diese an der richtigen Stelle wieder ab, ohne dass sie miteinander kollidieren.

Paketsortierung soll noch schneller gehen

Betrachtet man die Paketsortierung in heutigen Paketverteilzentren, so lässt sich zwar ein Trend zu kleineren Fahrerlosen Transportfahrzeugen (FTF) und einer fahrzeugbasierten Sortierung ausmachen, doch die meisten FTF-Lösungen zur Sortierung arbeiten in einem Grid. Das heißt, die Fahrwege sind rechtwinkelig angeordnet und die Kollisionsvermeidung ist relativ einfach. Von Nachteil ist allerdings, dass die Fahrzeuge unter Umständen längere Wege fahren oder Wartezeiten für blockierte Strecken in Kauf nehmen müssen. Die Fraunhofer Wissenschaftler legen deshalb den Fokus bei der Entwicklung ihres FTF nicht nur auf eine hohe Flexibilität, sondern auch auf einen hohen Durchsatz, u.a. durch die schnellere Ein- und Ausschleusung von Gütern.

Eine im September 2020 durchgeführte Untersuchung zum Einsatz des „LoadRunners“ für die Paketsortierung lieferte bereits erste vielversprechende Ergebnisse: Mit nur 60 Fahrzeugen lassen sich theoretisch deutlich über 10.000 Sendungen pro Stunde sortieren. Die Forscher bildeten eine Sortierung mit einer unterschiedlichen Anzahl an „LoadRunnern“ und verschiedenen Beschleunigungswerten ab. Zusätzlich betrachteten sie Faktoren, wie die Lokalisierung der Fahrzeuge oder die Kollisionsvermeidung. Das Ergebnis: Bereits 60 „LoadRunner“ erreichen Leistungsbereiche von klassischen Sortiersystemen. Zudem benötigt der „LoadRunner“ im Gegensatz zu klassischen Sortiersystemen wesentlich weniger fest installierte Infrastruktur. Er bietet eine deutlich schnellere Inbetriebnahme, eine dynamische Leistungsanpassung sowie eine höhere Skalierbarkeit.

Ein einzelner LoadRunner kann Lasten bis zu einem Gewicht von etwa 30 kg allein transportieren und sortieren.

Flexibel einsetzbar

Aktuell kann sich ein „LoadRunner“ hochdynamisch mit bis zu 10 m/s im Schwarm bewegen. Bei Bedarf können sich mehrere Fahrzeuge und bis zu vier passive Anhänger untereinander magnetisch zusammenkoppeln, um große und sperrige Teile zu transportieren. Der einzelne „LoadRunner“ kann Lasten bis zu einem Gewicht von etwa 30 kg allein transportieren und sortieren. Somit lässt er sich zum Beispiel auch für den Transport und die Sortierung von Gepäckstücken an Flughäfen einsetzen.

„LoadRunner“-Technologie steht vor dem Durchbruch

Mit der KION Group hat das Fraunhofer IML einen namhaften Industriepartner gefunden, der die „LoadRunner“-Technologie für den Einsatz in ihrer Unternehmensgruppe lizenzieren möchte. In dem gemeinsamen Enterprise Lab am Fraunhofer IML in Dortmund entwickeln die Partner den mit Künstlicher Intelligenz ausgestatteten autonomen Fahrzeugschwarm bis zur Marktreife weiter. Was das für die KION Group bedeutet, erklärt Tobias Zierhut.

Interview mit Tobias Zierhut

Leitung KION Mobile Automation

Aus welchem Grund haben Sie sich für das Enterprise Lab am Fraunhofer IML entschieden?

Die KION Group AG und das Fraunhofer IML sind seit vielen Jahren im Austausch und haben auch schon in der Vergangenheit – etwa bei dem Dematic Multishuttle – sehr erfolgreich zusammengearbeitet. Die Forschung und Entwicklung des LoadRunners haben wir stets mit großem Interesse verfolgt. Jetzt haben wir für uns den passenden Zeitpunkt für den Einstieg ins Projekt und einer gemeinsamen Weiterentwicklung bis hin zur Industrialisierung gesehen. Mit den Investitionen in Partnerschaften und Entwicklungen bei Autonomen Mobilen Robotern (AMR) hat die KION Group in den vergangenen Jahren schon einen wichtigen Schritt zur Erweiterung des Lösungsportfolios getätigt. In dem LoadRunner sehen wir eine disruptive Entwicklung hin zum AMR 2.0, der den Transport von Waren in der Logistik und im E-Commerce auf ein ganz neues Niveau heben wird.

Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Forschung im Lab?

Forschungs-Schwerpunkte werden Aspekte der Sortierung unserer Kunden sein. Damit meine ich das Verteilen und Zuordnen von Waren im Logistikprozess. Das hierzu relevante Anwendungsfeld ist weit gefächert und reicht von Anwendungen in der Paketlogistik bis hin zur Logistik des Flughafen-Gepäcks. Aber auch im Bereich des Warentransports sehen wir einen zukünftigen potentiellen Lösungsbeitrag des LoadRunners: Anwendungen, in denen heute Transportbänder zum Einsatz kommen, könnten mit ihm neu ausgerichtet und effizienter umgesetzt werden – vor allem in der „Just-In-Time“-Warenversorgung im industriellen Fertigungsprozess.

Welche Vorteile sehen Sie in der Enterprise Lab-Forschung?

Die Enterprise-Lab-Forschung ermöglicht es KION eine enge Zusammenarbeit zwischen der theoretischen Forschung und der praktischen Umsetzung einschließlich der Weiterentwicklung zur Marktreife sicherzustellen. Die Zusammenarbeit gibt uns die Möglichkeit spezifische Aspekte von KION-Seite einzubringen und damit den Fortschritt der Technologie – einschließlich der Anpassung der Lösungen auf spezifische Fokusfelder – abzubilden. Hierzu arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Fraunhofer Instituts mit den KION-Kolleginnen und -Kollegen aus den Feldern Mobile Automation, Technology & Innovation sowie der KION-Tochter Dematic physisch am Standort Dortmund eng zusammen. Durch Spezialisten aus den Bereichen KION Energy Systems und KION Manufacturing & Engineering werden sie dabei tatkräftig unterstützt.

Welchen Stellenwert hat die Forschung im Enterprise Lab in Ihrer Gesamtstrategie?

Aufgrund des weiten Spektrums im KION Konzern beschäftigen wir uns natürlich mit ganz verschiedenen Entwicklungen. Im LoadRunner sehen wir aber ein sehr großes Disruptionspotenzial für die Zukunft – als ein entscheidender Lösungsbeitrag für mehr Flexibilität und Zeitersparnis in den Anwendungen unserer Kunden.

Wie läuft die Zusammenarbeit mit Fraunhofer bisher, können Sie dazu schon etwas sagen?

Die Zusammenarbeit mit den einzelnen Teammitgliedern beim IML war und ist sehr erfrischend, lösungsorientiert und konstruktiv. Das gesamte KION Team freut sich auf die weitere gemeinsame Arbeit.