Eine Karte zeichnen, das ist einfach. Es wird schlicht alles abgezeichnet, was da ist. Oder? Tatsächlich ist es deutlich komplizierter: Eine politische Landkarte sieht anders aus, als eine topografische Karte, eine Wanderkarte oder eine Reliefkarte. Obwohl alle dasselbe Gebiet zeigen, braucht jede ganz verschiedene Informationen. Genau dasselbe gilt auch, wenn die Karte einer Halle angefertigt werden muss. „Eine Gruppe von Digitalisierern kann heute problemlos mit ihren Messgeräten eine Lagerhalle kartografieren“, sagt Tino Krüger-Basjmeleh, Senior Robotics Expert, KION Mobile Automation. „Nur kann der Produzent automatisierter Transportsysteme damit vielleicht nichts anfangen, weil zum Beispiel die Reflektoren nicht eingezeichnet wurden.“
Ein Zukunftsmarkt verschenkt derzeit Potenzial
Automatisierte Fahrzeuge aber brauchen Karten, entweder um auf bestimmte Wege programmiert zu werden oder sich anhand der Karte sogar selbst orientieren. „Zahlreiche Automatisierungsprojekte können heute noch nicht realisiert werden, weil jedes Mal ein initialer Aufwand anfällt, Karten zu erstellen“, sagt Krüger-Basjmeleh. „Viele Kunden winken an dieser Stelle ab.“ Anders gesagt: Aktuell kann ein wachsender Zukunftsmarkt sein Potenzial nicht ausnutzen, weil Standards fehlen. Gebraucht wird ein Kartenstandard für die anbrechende Ära der Automatisierung: Eine Karte, die in der Lage ist, möglichst exakt die verschiedenen Anforderungen zu bedienen, die Maschinen und Fahrzeuge haben könnten. Obendrein sollte sie auch von Menschen möglichst einfach zu verändern und zu bedienen sein, selbst wenn diese keine Ingenieure sind, sondern vielleicht nur eine virtuelle Wand einzeichnen wollen, damit ein automatisierter Stapler einen bestimmten Weg nicht einschlägt. Zusammengefasst: Flexibel, kompatibel und leicht zu implementieren.
Die KION Group ist dazu über die Operating Unit STILL EMEA in ein gemeinsames Forschungsprojekt mit den Sensorenherstellern Pepperl+Fuchs und Sick, mehreren wissenschaftlichen Instituten und Hochschulen, sowie dem Wettbewerber Jungheinrich eingestiegen. Eine ungewöhnliche Kooperation? „Die Idee ist deutlich größer als ein einzelnes Unternehmen“, sagt Krüger-Basjmeleh. „Vorwettbewerbliche, gemeinsame Forschung ist nötig.“ Eine individuell entwickelte Lösung wäre eben gerade nicht die Art von Standard, welcher die Kunden überzeugt. Zahlreiche Servicedienste basieren auf solchen Karten, neben der Navigation auch Qualitätssicherung oder Dokumentation. Man sehe die Wettbewerber eher in Asien und den USA, formuliert Krüger-Basjmeleh: „Wir haben alle gesagt, lasst uns das gemeinsam beackern.“ Zusätzlicher Vorteil: Alle Projektbeteiligten sind in Hamburg angesiedelt und profitieren von kurzen Wegen.
„Wo genau befinde ich mich eigentlich?“
Seit September 2017 läuft das Forschungsprojekt, und Krüger-Basjmeleh ist zufrieden mit den bisherigen Ergebnissen. „Wir haben einen ersten guten Überblick über die notwendigen Informationen, wir haben Ideen, wie Karten sinnvoll visualisiert und verändert werden.“ Den Projektpartnern schwebt ein Dienst vor, den sie RAIL getauft haben, das Akronym für „Referenz-Architektur Indoor Lokalisation“. Der Kartenstandard soll unterschiedliche Genauigkeitsgrade und unterschiedliche Dienste abbilden, darunter Geolokalisation, Warentransport und Vergütungsmanagement. „Einer der Gründe, warum Google Maps so erfolgreich ist, liegt darin, dass jeder es für ganz verschiedene Zwecke nutzen kann“, erläutert Krüger-Basjmeleh. Auch RAIL soll ein Sprungbrett sein, damit die Nutzer am Ende zum Beispiel den schnellstmöglichen oder simpelsten Pfad von einem Fahrzeug zu einer Palette bestimmen können. Eng damit verknüpft sind allerdings zahlreiche andere Fragen wie die Lokalisierung. „Ohne genaue Ortsinformationen kann ich nicht planen, wo ich hin muss“, sagt Krüger-Basjmeleh. „Die erste Frage ist: Wo genau bin ich?“
Die Vision ist, dass auch Fahrzeuge mit ihren Sensoren am Ende Informationen liefern können, weil sie ein Hindernis entdeckt haben. „Den Freiheitsgrad der Maschinen zu erhöhen ist eine der herausforderndsten Aufgaben, denen sich die KION Group gestellt hat“, so Krueger-Basjmeleh. Gleichzeitig sei es eines der wichtigsten Zukunftsprojekte, das konzernweite Zusammenarbeit brauche, auch und gerade von anderen Operating Units. Die KION Group könne mit dem Thema Märkte erreichen, die heute noch gar nicht adressiert sind. Ab 2019 soll eine zweite Phase des aktuellen Forschungsprojekts starten: „Wir haben einen sehr großen Schritt gemacht, aber wir brauchen noch viel Entwicklung.“