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Fahrzeugentwicklung mit VR-Brille: „Das Potenzial ist gigantisch.“

Bei der Entwicklung ihrer Flurförderzeuge setzt die KION Group immer häufiger auf digitale Testverfahren. Durch 3D-Simulationen, Temperaturberechnungen und gerenderte Belastungsproben werden die Fahrzeuge schon vor der Produktion umfassend überprüft und getestet. Nun steht mit der Virtual-Reality-Lösung IC.IDO die nächste Evolutionsstufe an. Sie etabliert VR-Brillen nicht nur bei Produktinnovationen, sondern auch bei der Zusammenarbeit mit Kunden.

2023-06-14

In Zeiten von Künstlicher Intelligenz und Virtual Reality (VR) werden viele vermeintliche Gewissheiten auf die Probe gestellt. Bisher war es zum Beispiel selbstverständlich, dass man einen Prototyp erst einmal herstellen musste, bevor man ihn testen konnte. Aber diese Logik gilt nicht mehr.

Jan-Christian Rehder sitzt in Jeans und weißem Hemd in einem abgedunkelten Büro. Sein Gesicht ist von einer großen VR-Brille verdeckt. Durch sie orientiert sich der Ingenieur in der virtuellen Umgebung, um ein Gespür dafür zu bekommen, wie sich das Fahrzeug in der physischen Welt darstellt. Doch von dem tonnenschweren Fahrzeug selbst existieren physisch lediglich die Armlehnen und ein Fahrersitz, der auf ein graues Metallgestänge im Büro montiert ist. Alle anderen Bauteile des Staplers gibt es nur virtuell. Rehder nutzt VR, um den aktuellen Konstruktionsstand technisch zu beurteilen. Dabei kann er sich (und das Fahrzeug) im virtuellen Raum bewegen und den Stapler aus verschiedensten Blickwinkeln beurteilen.

Bevor ein physischer Prototyp eines Fahrzeugs überhaupt gebaut wird, wird dessen Digital Mockup im Virtual Reality-Umfeld von verschiedenen Fakultäten und Fachbereichen untersucht.

So realistisch, als stünde der Stapler direkt vor einem

„Wir schaffen virtuelle Modelle von Flurförderzeugen und virtuelle Umgebungen , die jeweils so realistisch sind, dass wir zum Beispiel Packaging und Ergonomie genau beurteilen können, bevor ein physischer Prototyp gebaut wird“, erklärt Rehder. Er arbeitet seit zehn Jahren für die KION Group im Product Development. Als einer der ersten „VR Key-User“ hat Rehder die Aufgabe, auszuloten, welche potenziellen Anwendungsfelder die Virtual Reality-Technologie bei KION hat. Einiges davon liegt in der Zukunft, manches ist schon jetzt Realität – und das Potenzial ist gigantisch. „Wer viel in VR reinsteckt, kriegt am Ende auch viel raus“, ist sich Rehder sicher.

Für die Produktentwicklung hat sich innerhalb des Stapler-Segments Industrial Trucks & Services der KION Group (KION ITS) ein neuer Prozess etabliert, um das Potential der Technologie in die gewünschten Bahnen zu lenken: Stefan Hafner, Senior Director für die Vorentwicklung der Gegengewichtsstapler, ist maßgeblich daran beteiligt, die Verwendung von sogenannten Digital Mockups (DMU) konzernweit zu verankern. Bevor ein physischer Prototyp eines Fahrzeugs überhaupt gebaut wird, wird dessen DMU im Virtual Reality-Umfeld von verschiedenen Fakultäten und Fachbereichen untersucht. Dieser Prozess soll künftig konzernweit bei allen Marken der KION Group gelten – für Stefan Hafner und sein Team eine folgerichtige Entwicklung. Für sie ist die annähernde Darstellung der physikalischen Welt in VR ähnlich bahnbrechend wie der Sprung von 2D zu 3D. „Es ist der nächste logische Schritt“, sagt Hafner. „Der Wechsel von 2D zu 3D hat seine Zeit gedauert, aber am Ende stand ein Paradigmenwechsel. Der Schritt von 3D zu VR ist der nächste.“ Eine Evolution, die den Kunden der KION Group zugutekommt.

Neue Anwendungsbereiche: Virtual Reality für Produktion und Service

Bei den virtuellen Testschleifen setzt KION ITS auf die Softwarelösung IC.IDO der ESI Group. Dabei funktioniert das Prinzip der Software wie folgt: In einer 3D-Konstruktionssoftware werden Fahrzeugmodelle digital aufgebaut. Dann werden diese sogenannten CAD-Daten in die virtuelle Software-Umgebung exportiert. Auf diese Weise entstehen die Digital Mockups als realitätsnahe Modelle, die sich jetzt in einer virtuellen Umgebung befinden. Langfristig wird man mithilfe der DMUs in der Lage sein, in der VR-Umgebung Optimierungsprozesse durchzuführen, die in der physischen Praxis bislang um ein Vielfaches aufwendiger ausfallen. So lassen sich viele Erkenntnisse, die normalerweise mithilfe physischer Prototypen gewonnen werden, weitaus früher im Prozess gewinnen.

Bei der Entwicklung ihrer Flurförderzeuge setzt die KION Group immer häufiger auf digitale Testverfahren.

Eine erstaunliche Veränderung, die laut Jan Rehder aber erst der Anfang einer Entwicklung ist und die sich auf viele andere Bereiche ausweiten wird – so beispielsweise auch auf das Industrial Engineering. „In Zukunft könnten auch neue Montagelinien zunächst virtuell aufgebaut werden, um mögliche Optimierungen vorab durchzuführen“, sagt Rehder. Und auch im Service oder im Aftersales könne die Technologie zum Einsatz kommen. „Wie kann ich etwas reparieren? Wie tausche ich etwas bestmöglich aus? Auch solche Aussagen lassen sich mit Hilfe von IC.IDO hervorragend treffen“, weiß Rehder.

VR macht Kundenwünsche möglich

Tjark Rulfs weiß, was es bedeutet, auf die Anliegen der Kunden einzugehen. Als Customer Options-Konstrukteur bei KION ITS EMEA beschäftigt er sich mit Kundenwünschen, die besondere Anpassungen am Fahrzeug erfordern. Als ihn eine besondere Anfrage eines Verpackungsherstellers erreichte, realisierte Rulfs schnell: Das ist eine aufwendige und komplexe Sache. Der Hersteller wollte bei all seinen Gabelstaplern den Sitzplatz erhöhen, um bessere Sicht zu ermöglichen. „Das klingt vergleichsweise simpel: Ein höherer Arbeitsplatz. Aber in der Praxis ist es durchaus kompliziert“, sagt Rulfs. Gemeinsam mit seinem Team sah er sich die Abläufe vor Ort beim Verpackungshersteller an, um die Einzelheiten der Anforderung genau nachvollziehen zu können – und entschied, ein neues Baumuster für eine angepasste Fahrzeugversion zu erstellen.

Das Potenzial von IC.IDO zeigt sich in den virtuellen Testverfahren.

Es sollte das erste Mal werden, dass für einen Kunden statt eines physischen Prototyps ein digitales, virtuell erfahrbares Mockup gebaut wurde. Tjark Rulfs fiel jetzt die Aufgabe zu, die Skizzierung der Sitzerhöhung auf CAD-Basis umzusetzen, die Daten zu exportieren und in IC.IDO zu evaluieren. „Die IC.IDO-Software ist sehr gut darin, die Rahmenbedingungen abzubilden“, erläutert Rulfs. In der virtuellen Umgebung wurden Hindernisse – sogenannte „Situationsschwerpunkte“ – aufgebaut, die denen vor Ort beim Kunden möglichst realitätsnah entsprachen. So entstand ein virtueller Versuchsaufbau, der mit verschiedenen (ebenfalls digitalen) Fahrzeugvariationen getestet wurde. Und zwar so lange, bis ein für die KION-Ingenieure zufriedenstellendes Ergebnis erzielt wurde. Der nächste Schritt? Der Kunde wurde nach Hamburg eingeladen, wo er sich ein erstes Bild von seinem individuell angepassten Fahrzeugmodell machte: Mit VR-Brille auf einem Stapler-Fahrersitz im Büro.

„Es war beeindruckend, wie originalgetreu die Verhältnismäßigkeiten und Rahmenbedingungen virtuell abgebildet wurden“, sagt Customer Options-Konstrukteur Tjark Rulfs, der bei dem Vorführtermin natürlich dabei war. „Der Kunde konnte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, inwieweit die Sitzerhöhung die Sicht auf die Last verbessert“, schildert Rulfs begeistert. „Das wird irgendwann der neue Standard“, ist er sicher: „Sich ohne viel Investitionen ein umfangreiches Bild machen zu können, das ist schlichtweg großartig.“ Das Potential von IC.IDO für die Kunden könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Dieser Einsatzfall zeigt, wie die virtuelle Sichtbeurteilung via Digitalbrille sowohl für den Kunden als auch für die KION Group von Vorteil ist. Nun soll das Bewusstsein für die virtuellen Möglichkeiten in der eigenen Organisation weiter geschärft und häufiger auf das Tool zurückgegriffen werden – idealerweise über alle Anwendungsbereiche hinweg.