Was mit einzelnen Produkten anfing, hat das gesamte Sortiment, die gesamte Branche erfasst, auch wenn die Lebensmittel noch eine Nische sind. „Die Sortimentsbreite wächst überall an“, beobachtet Andreas Hartwig, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Miebach Consulting GmbH, die sich auf Intralogistik spezialisiert hat. Früher galten einmal 100.000 verschiedene Artikel als kaum zu überbieten; eine Zahl, auf die riesige Baumärkte oder Ersatzteilhändler kamen.
Der berühmte Quelle-Katalog hatte 25.000 Artikel. Heute gibt Amazon an, mehr als vier Millionen Artikel lieferbar zu haben. Die alle müssen irgendwo gelagert, erfasst, kommissioniert werden. Und sie zwingen auch alle anderen Händler, stärker in die Breite zu gehen: Wer sich erst online informiert, anschließend in den Laden geht, das auserwählte Produkt dort aber nicht findet, kehrt dem Händler den Rücken.
Individuelle Spezial-Produkte
„Das Lager verändert sein Gesicht“, fasst Hartwig zusammen. „Die meisten Händler verkaufen ja nicht mehr, sie verkaufen nur anders: in kleineren, differenzierteren Einheiten.“ Früher belieferte man einen Laden in Packungsgrößen von zwölf oder 20 Stück. Heute erwarte dagegen jeder Kunde seinen Spezialtoaster, sein Spezialdeo oder eine ganz bestimmte Sorte Gemüse.
Das bedeutet auch: Die Händler brauchen immer seltener komplette Kartons oder Paletten. Ein Alarmsignal für den Gabelstapler, für dessen sinnvollen Einsatz einheitliche Verpackungen die Voraussetzung ist? Ja und Nein, sagt Frank Schulze, der sich an der Universität Dresden mit Logistik beschäftigt: „Wir werden auch künftig noch Europaletten bepacken“, sagt er. Aber eben nur noch in einem Teilbereich des Logistikprozesses. Denn gerade in den großen Lagerhallen der Online-Massenhändler würden in Zukunft immer mehr Prozesse automatisiert ablaufen, so dass die Nische für von Menschen gesteuerte Lagerlogistikgeräte ständig kleiner werde. Und auch im Einzelhandel sieht der Fachmann einen Trend zur Automatisierung, etwa mit selbstfahrenden Staplern oder Routenzügen, die sich selbst orientieren können. „Enorme Flexibilität, die sich skalieren lässt“, fasst Schulze die Branchenwünsche zusammen.
Flexibler, kleiner, besser skalierbar
Womöglich bedeutet die Verbindung beider Trends, kleinere Größen und (Teil-)Automatisierung, dass auch die Fahrzeuge künftig noch kleiner und flexibler werden müssen. „Aus Produzentensicht würde ich mir überlegen, wie man Geräte wie Handschiebe¬wagen und Kommissionierer dieser Zukunft anpassen kann“, sagt Berater Hartwig.
Von größter Bedeutung sei außerdem die Planungssicherheit, sagt Schulze und erläutert: „Zuverlässigkeit ist noch wichtiger als Geschwindigkeit. Der Händler ist beruhigt, wenn er sicher vorausplanen kann, ein Produkt übermorgen im Regal zu haben.“ In der Logistik sehe er daher einen Trend zur „Punktlandung“.
Weitere Stichworte für Herausforderungen in der Retail-Branche sind Platz, Arbeits¬kosten und Immobilienpreise. Immer häufiger befinden sich Verkaufsräume und Logistikzentren an unterschiedlichen Orten. „Sie gehen künftig vielleicht in einen Show-Room, suchen sich dort Ihre Waren aus, bestellen aber anschließend im Online-Shop des Händlers“, erklärt Schulze. Um diesem Trend zu folgen, würden erste Online-Händler wie Amazon bereits reale Filialen in Innenstädten eröffnen.
Der Kunde der Zukunft, erwarten die Experten, werde in seinem Kaufverhalten zwischen beratungsintensiven Anschaffungen und Routine-Produkten unterscheiden. Wer etwa ein neues Fernsehgerät oder eine besondere Flasche Wein kaufen wolle, der erwarte im Laden eine kompetente und freundliche Beratung. Die immer gleichen Alltagseinkäufe (etwa fettarme Milch und drei¬lagiges Toilettenpapier) würden dagegen viele Menschen wohl bald online erledigen und sich die Ware nach Hause liefern lassen. Auch wenn der fast schon sprichwörtlich gewordene, sich selbst nachfüllende Kühlschrank noch immer nicht Realität ist – die Idee passt nach wie vor in den Trend.
„Manchmal brauchen Innovationen zwei oder drei Anläufe“, gibt Hartwig zu bedenken. Für ihn ist klar: Wenn Einzelhändler erfolgreich bleiben wollen, müssen sie verschiedene Kanäle anbieten und selbst innovativ werden. „Wir stellen jedenfalls fest, dass alle Händler sehr, sehr intensiv über Intralogistik und Lieferketten nach¬denken“, so Hartwig.