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Wie Insekten die Intralogistik inspirieren

Ameisenstraßen auf der Terrasse oder ein Bienennest im Garten – diesen Anblick kennen viele Menschen, wenn sich die Tiere in direkter Nachbarschaft einquartieren. Was jedoch nicht offensichtlich ist: Wir können von Insekten eine Menge für die Optimierung von Arbeitsabläufen lernen. Sie betreiben eine komplexe Logistik. Bei KION gibt es einige Beispiele, wie sich in der Natur auftretende Phänomene adaptieren lassen.

2023-01-25

„Mich haben Ameisen schon immer fasziniert, denn die Tiere arbeiten extrem effizient“, sagt Frank Heptner, Vice President Sales & Realisation Automation and Intralogistics bei KION. Wenn eine Ameisenstraße unterbrochen wird, organisieren die Tiere sich sofort neu und finden einen anderen Weg – der Prozess läuft weiter. „Das ist genau der Anspruch, den wir bei der Arbeit für unsere Kunden haben“, sagt Heptner: „Den kürzesten Weg finden, auf Unvorhergesehenes reagieren und jederzeit einsatzbereit sein.“

Wie funktioniert das in einem Ameisenstaat? Sozialbiologe Bert Hölldobler zufolge sucht eine Arbeiter-Ameise Futter oder Baumaterial – je nachdem, was gerade Priorität hat. Ihren Weg zum Ziel markiert sie mit einem Duftstoff, auch Pheromon genannt, dem die „Kollegen“ folgen. Findet ein Tier einen schnelleren Weg, wird ein neuer Pfad bestimmt und zur Unterscheidung mit einem stärkeren Pheromon belegt. Die nachfolgenden Ameisen erkennen an der Intensität des Duftes, welcher Weg momentan der effizienteste ist. Wird der neue Pfad versperrt, orientieren sich die Ameisen wieder am alten Weg, den sie wiederum durch den schwächeren Geruch erkennen können.

Keine übergeordnete Instanz

Bemerkenswert ist: All das funktioniert ohne eine übergeordnete Instanz. Die Ameisen organisieren sich selbst – und alle Abläufe und Veränderungen sind für jede Ameise nachvollziehbar. Dieses Prinzip lässt sich auf die Intralogistik übertragen. „In unserer Welt nennen wir das ‚Ware zu Person‘“, sagt Frank Heptner. Dabei läuft beispielsweise ein Mitarbeiter zum Regal, sucht dort das passende Produkt und bringt es dann zum Ziel. „Das wird heute immer noch praktiziert“, sagt Heptner. Um die Effizienz eines Arbeitsprozesses zu steigern, wurden allerdings Methoden entwickelt, den Gang „zum Regal“ zu ersetzen oder ganz darauf zu verzichten. Denn wenn die Ware zur Person kommt, statt die Person zur Ware, kann Zeit eingespart werden und die Produktion und oder der Versand verlaufen reibungsloser.

Der L-MATIC im Einsatz beim Ventilatoren- und Motorenhersteller ebm-Papst in Mulfingen.

Das Prinzip „Ware zu Person“

Ein Beispiel dafür ist das Versandlager des Ventilatoren- und Motorenherstellers ebm-Papst in Mulfingen. Dort sind drei L-MATICs – automatisierte Hochhubwagen der KION Tochter Linde Material Handling – im Einsatz und nehmen eigenständig Paletten vom Förderband, um sie zum jeweiligen Abnahmepunkt zu transportieren.

„Das funktioniert tatsächlich ganz ähnlich wie eine Ameisenstraße“, sagt Frank Heptner. Eine Supervisor-Software steuert die Robotik-Flotte, berechnet die Routenführung und vergibt Fahraufträge an die L-MATIC-Geräte. Das System kommuniziert außerdem mit anderen automatisierten Anlagen wie Toren oder Rollbahnen. „Damit kann in Echtzeit auf Veränderungen reagiert werden“, so Heptner weiter: „Kollisionen werden vermieden und stets der optimale Weg gewählt – eben wie im Ameisenstaat!“

AMRs und der „Ameisenalgorithmus“

Auch der Omni-Channel-Einzelhändler Radial Europe hat die Effektivität seines Logistikzentrums optimiert – mit Unterstützung der Automatisierungsspezialisten der KION Tochter Dematic. Der hier gewählte Ansatz ist ein weiteres Beispiel für die Adaption des Ameisenstaates in der Intralogistik: An 45 Pick- und Lade-Stationen im Lager erhalten Transportroboter verschiedene Aufgaben zugeteilt – „wie im Ameisenstaat die einzelnen Ameisen“, sagt Heptner.

Im Einsatz sind AMRs: Autonome mobile Roboter. Diese befördern Paletten von Umfüllstationen zum Regal und weiter zur Packstation. Andere AMRs übernehmen den Transport von Behältern zwischen dem Regallager und den Kommissionierungsplätzen. Die reibungslose Kooperation von sämtlichen Systemen wird von der Warehouse Management-Software garantiert. Diese stellt den Betrieb sicher und sorgt für Effizienz im Prozess. Frank Heptner nennt dieses Zusammenspiel „Ameisenalgorithmus“ und sagt: „Dieses Prinzip wird inzwischen in vielen Logistiklagern weltweit umgesetzt.“

Arbeitsteilung ist das A und O.

Anderer Ansatz, anderes Insekt: die Biene

Ameisen sind nicht die einzigen Tiere, deren Sozialverhalten sich in intralogistischen Prozessen widerspiegelt. Ein weiteres Beispiel sind Bienen. Der Sozialbiologe Bert Hölldobler beschreibt die Futtersuche einer Biene: Das Tier fliegt los, überprüft Blüten auf ihre Qualität, greift aber nicht gleich zu, sondern informiert zunächst andere Bienen durch eine Art Tanz. Damit teilt es den anderen Bienen die Koordinaten der Blüte, deren Qualität und die Flugstrecke mit.

Im Unterschied zur Ameise entsteht hier also keine Kette an Arbeitern, die sehr schnell handelt, sondern es erfolgt eine Vorbereitung, die stark mit Arbeitsteilung zusammenhängt. Zwar gibt es auch im Ameisenstaat Hierarchien und verschiedene Aufgaben – bei Bienen ist dieses Verhalten jedoch viel ausgeprägter: Es gibt die Brüter, die Arbeiter, die Hofstaat-Bienen und die Königin. Die Arbeiterbienen teilen sich dabei noch in viele Untergruppen auf. Beispielsweise gibt es Sammler, Anflughelfer, Ventilatorenbienen, Reinigungsbienen, „Tankstellen“-Bienen, und viele mehr.

Arbeitsteilung ist das A und O

„Was die Intralogistik von den Bienen lernen kann, ist in erster Linie eine gut durchdachte Arbeitsteilung, um Prozesse der Kommunikation und Verwaltung problemlos ablaufen zu lassen“, sagt Frank Heptner. Wie auch bei den Bienen ist die Arbeitsteilung in der Intralogistik essenziell. Um Kommunikationswege optimal zu nutzen und so effizient wie möglich Informationen weiterzugeben, wird in der Intralogistik mit Softwaresystemen gearbeitet. Diese geben, wie auch die Sammlerbienen, Informationen zu Arbeitsaufträgen weiter.

Der Prozess des Kommissionierens mit dem OPX iGo neo erinnert an den der Sammlerbienen, die in ihren Stock zurückfliegen.

Wird dann ein Mitarbeiter auf den Weg geschickt, um die Ware am Regal abzuholen, kann beispielsweise der OPX iGo neo der Marke STILL in einem weiteren Sinne als „Teil“ einer Biene betrachtet werden: Die Biene nutzt ihre Taschen an den Beinen, um die Blütenpollen zu transportieren – ganz ähnlich der teilautonome Kommissionierer. Wie auch die Biene ihre Sammlertaschen nur so befüllt, damit sie auf schnellstem Weg in ihr Nest zurückkehren kann, belädt auch der Bediener des OPX iGo neo seinen Gehilfen so, dass der Materialfluss effektiv abläuft. Der Prozess des Kommissionierens erinnert aber auch an den der Sammlerbienen, die in ihren Stock zurückfliegen, um ihre Blütenpollen abzuliefern. Denn wie die Bienen sich einander folgen, folgt der OPX iGo neo seinem Bediener automatisch auf Schritt und Tritt und passt Fahrweg und Geschwindigkeit an, bis sie an ihrem Zielort angekommen sind.

Auch im Lager gibt es Arbeitsprozesse, die an die der Bienen erinnern. Wie zum Beispiel die Aufgabe der Ventilatorenbienen, welche mit ihrer Flugmuskulatur den Bienenstock temperieren können. Im Winter können sie ihre Flügel nutzen, um den Stock auf bis zu 35 Grad zu erhitzen, im Sommer um zu kühlen und so das Schmelzen der Wachswaben zu verhindern. Auch im Lager gilt es Ware am richtigen Ort zu platzieren und zu temperieren. Somit wird eine optimale Aufbewahrung garantiert.

Der LoadRunner ist ein ideales Beispiel für die Schwarmintelligenz.

Die Weisheit der Vielen

Doch die wichtigste Beobachtung für die Intralogistik aus der Tierwelt ist die Schwarmintelligenz – der sogenannte Superorganismus. Dieser beschreibt die schier unglaublich effektive Fähigkeit der Insektenvölker, im Kollektiv zu entscheiden und zu agieren. Der Unternehmensberater Ernst Kurzmann beschreibt vier Mechanismen, nach denen die Schwarmintelligenz aus der Tier- in die Arbeitswelt übertragen werden kann: Erstens müssen Mitarbeiter in ihren Entscheidungen unabhängig sein. Zweitens braucht es keine klare Arbeitsteilung, die den jeweiligen Talenten und Fertigkeiten entspricht. Drittens braucht es dezentrales Wissen und viertens die Aggregation – also die Anhäufung all dieser Einzelleistungen, die die „Weisheit der Vielen“ möglich macht.

Lässt sich dieses Prinzip auch für Intralogistikprozesse adaptieren? Selbstverständlich, und bei KION wird auch bereits daran gearbeitet. Der sogenannte LoadRunner ist der Prototyp eines kleinen Transportfahrzeuges, das nicht allein, sondern im Schwarm auftreten soll – und das KION derzeit gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) entwickelt. Der LoadRunner soll Effizienz auf ein neues Level bringen, denn die Geschwindigkeit der kleinen Fahrzeuge verspricht zehn Meter pro Sekunde. Mittels geteilter Künstlicher Intelligenz sind sie außerdem dazu fähig, sich selbständig zu koordinieren.

Zusätzlich können sich die einzelnen Module auch zusammenkoppeln, um schwerere Lasten zu transportieren – das erinnert stark an Ameisen, die ein Vielfaches des eigenen Körpergewichts tragen können. Haben sich die Ingenieure dafür direkt von der Natur inspirieren lassen? Frank Heptner schmunzelt. „Ich weiß es nicht genau und will den Kolleginnen und Kollegen nicht zu nahetreten“, sagt er: „Aber die Vermutung liegt sehr nahe.“ Egal, woher die Inspiration letztlich kam: In Sachen Effizienz kann sich der LoadRunner dem Ameisen-Vergleich allemal stellen. Denn im Test kann der Roboter-Schwarm deutlich mehr als 10.000 Sendungen pro Stunde sortieren…