Und Sie sind mit diesem Learning schon weit vor Corona auf die Suche nach Lösungen gegangen?
Ja, zunächst einmal haben wir 2018/19 im „Task Force Mode“ in enger Zusammenarbeit mit den Lieferanten dafür gesorgt, dass die Produktion versorgt war und wir den Bedarfen unserer Kunden bestmöglich nachkommen konnten. Gleichzeitig haben wir mit den Lieferanten daran gearbeitet, ihre Kapazitätsengpässe zu beheben. In diesem Zeitraum wurden von unserer Taskforce aus Mitarbeitern der Bereiche Logistik, Qualität und Einkauf Tools und Prozesse entwickelt, mit denen wir unsere Zusammenarbeit mit den Lieferanten deutlich effizienter gestalten konnten. Diese wertvollen Erkenntnisse und Erfahrungen haben wir dann in eine übergeordnete Linienorganisation im Einkauf überführt und eine neue Einheit für Supplier Risk Management und Lieferantenentwicklung ins Leben gerufen. Alles mit dem Ziel, mögliche Risiken bei unseren Lieferanten frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen – und zwar idealerweise vorausschauend, nicht reaktiv. Wenn wir Lieferanten aktiv in die Lage versetzen, unsere Bedarfsanforderungen hinsichtlich Qualität, Termintreue und Menge erfüllen zu können, profitieren alle Seiten. So weit unsere Learnings aus der Kapazitätskrise, die sich im Dezember 2019 glücklicherweise entspannt hatte.
Und dann kam Corona.
Richtig. Gerade, als wir dachten, wir können durchatmen, standen wir unerwartet vor einer völlig neuen Situation und Herausforderung. Die Covid-19-Pandemie hat die Bedeutung der weltweiten Lieferketten in ganz anderem Maße offengelegt und noch einmal klar gemacht, warum man eigentlich von einer „Kette“ spricht. Unter normalen Bedingungen pflegt man ja einfach das Netzwerk seiner direkten Tier-One-Lieferanten. Aber in einer solchen Situation ist man plötzlich mit sehr viel mehr und neuen Problemen konfrontiert, weil diese wiederum Probleme mit ihren verschiedenen Zulieferern auf den verschiedensten N-Tier-Stufen haben. So hat die Pandemie gerade in diesen tieferliegenden Lieferantenstrukturen einige Schwachstellen aufgezeigt, die vielleicht vorher noch keine waren oder zumindest noch nicht so akut und damit visibel waren. Wie Warren Buffett (US-amerikanischer Großinvestor und Unternehmer, Anm. d. Red.) so treffend formuliert hat: ‚Man sieht erst, wenn die Ebbe kommt, wer die ganze Zeit über ohne Badehose geschwommen ist.‘
In welchem Maße konnte KION hier von seinen bisherigen Erfahrungen im Supply Chain Risk Management profitieren?
Natürlich haben uns unsere Tools und Prozesse enorm geholfen, die Versorgung und damit unsere Produktion zu stabilisieren. Trotzdem haben wir wieder eine dedizierte Taskforce gegründet, weil mit Corona wiederum viele neue Fragestellungen hinzukamen und sich die Situation täglich, wenn nicht stündlich geändert hat. Vor Corona hat sich unsere Taskforce um einzelne Lieferanten gekümmert. In der Pandemie ging es dann auf einmal direkt um ganze Länder. Diese haben abhängig von ihrer Lage sehr unterschiedlich agiert, was beispielsweise Grenzkontrollen, Produktion oder Schutzmaßnahmen anging. Dadurch ist die Anzahl an Lieferanten, um die man sich parallel kümmern musste, explodiert. Das war ein gewaltiger Mehraufwand. Wir konnten in vielen Fällen unseren direkten Lieferanten, aber auch deren Partnern helfen, Ausnahmegenehmigungen für die Produktion zu bekommen.
Das hat auch insofern eine besondere Bedeutung, da KION ja Produkte herstellt, die gerade in der Krise essentiell für die Versorgung der Bevölkerung sind. Wir haben in der Logistik unterstützt – oft mit unserem hausinternen Logistikdienstleister. Und wir haben geholfen, neue Formalien an den Grenzen zu erledigen. Mittlerweile hat sich das alles wieder ein wenig eingependelt. Gleichzeitig haben wir mit den neuen Herausforderungen auch unsere Tools und Prozesse verbessert und zum Beispiel einen internen Eskalationsprozess entwickelt, der regelt, wer aus unserer Taskforce sich wann um welchen Lieferanten kümmert – und in welcher Intensität.
Wie eng kann man sich denn die Abstimmung mit einem Lieferanten vorstellen?
Ein konkretes Beispiel: Bei einem europäischen Lieferanten kam es zu Lieferschwierigkeiten. Gemeinsam haben wird die Ursachen analysiert und gemerkt, dass es dort intern signifikante Engpässe im Bereich Schweißen gab. Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass der Lieferant die nötigen Fähigkeiten und Möglichkeiten hat, sich diesbezüglich weiterzuentwickeln. Also haben wir einen Mitarbeiter vor Ort geschickt, der dann in enger Zusammenarbeit mit dem Lieferanten in einem knappen Vierteljahr die Fertigung umorganisiert hat. Das hat zu einer Produktionssteigerung von rund 70 Prozent geführt – ohne zusätzliche Investitionen. Dadurch konnte der Lieferant nicht nur unseren Bedarf decken, sondern auch den weiterer Kunden – er hat also an Flexibilität und Kapazität deutlich gewonnen. Das hat die Zusammenarbeit enorm gestärkt.
Das ist natürlich ein Paradebeispiel, zeigt aber, was möglich ist. Um solche Verbesserungen zu erreichen, müssen wir aber schon mal unangenehme Dinge am Anfang des Prozesses ansprechen. Dies wird manchmal als Kritik wahrgenommen, ist aber eigentlich ein Zeichen von Wertschätzung. Wenn man es mit einem Lieferanten nicht wirklich ernst meint, würde man ihn einfach austauschen. Stattdessen haben wir die Kommunikation und die Kooperation mit unseren Lieferanten auf ein ganz neues Niveau gehoben. Und so konnten wir unzählige Lieferengpässe gemeinsam mit unseren Lieferanten beheben.
Wie sieht die Lage der Lieferketten bei KION aktuell aus?
Dank unserem sehr gut aufgestellten, transparenten Lieferanten-Netzwerk und unserer etablierten Prozesse befindet sich die KION Group derzeit in einer sehr stabilen Lage. Den Erfolg unserer Strategie spiegeln uns die einzelnen Werke der KION Group und ihrer Tochterunternehmen wider: Dort sind die Fehlteil-Plätze trotz Corona so leer wie nie zuvor – ein Ergebnis, das nur durch die unermüdliche Arbeit der Task Force Mitglieder, die entwickelten Prozesse und die sehr enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Lieferanten möglich wurde.
Dennoch ist die Situation seit dem Ausbruch der zweiten Welle in vielen Regionen wieder angespannter und die Liefertreue hat ein wenig abgenommen. Wir sind wieder mit mehr Lieferanten im engen Kontakt. Aber die Regierenden und Behörden haben aus der ersten Welle im Frühjahr viel gelernt und wissen, was zu tun ist, um nicht ganze Industriezweige lahmzulegen. Trotzdem: Wir dürfen nicht stehen bleiben und streben weitere Verbesserungen in der Zusammenarbeit mit unseren Partnern an. Im Industrie-Vergleich ist die KION Group gut durch die Krise gekommen. Und wir – die KION Group und ihre Lieferanten – sind aus den ganzen Herausforderungen mit noch leistungsfähigeren Prozessen hervorgegangen.