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Urbane Logistik: Die Herausforderung der Städte

Teil 1 unserer Serie zur "Urbanen Logistik":

Pendler, Parkplätze und Pläne

Die Städte stehen unter Druck. Weltweit nimmt die Urbanisierung zu, der Verkehr steigt an, die Räume verdichten sich. Dazu tragen wir als Konsumenten mit unseren widersprüchlichen Interessen auf unsere eigene Art bei. Was bedeutet das für uns? Und was hat die „Letzte Meile“ damit zu tun? Ein Überblick.

2020-06-02

„Erst formen wir unsere Gebäude, dann formen sie uns“, lautet ein geflügelter Satz unter Architekten, der ursprünglich vom britische Premier Winston Churchill stammt. Man könnte das ausweiten auf: Erst formen wir unsere Städte, dann formen sie uns. Denn wie sich die Städte entwickelt haben, hat mittlerweile ersichtlich Auswirkungen auf jeden einzelnen.

Um die 60er Jahre herum kam in zahlreichen industrialisierten Staaten die Idee auf, Arbeiten und Wohnen räumlich getrennt zu halten. Das hatte auf den ersten Blick einiges für sich: Industrie, aber auch der Anlieferungsverkehr für den Einzelhandel sorgen für Lärm, schlechte Luft und geringere Lebensqualität als in einem reinen Wohnviertel. Allerdings bringt die räumliche Trennung auch ihre eigenen Probleme mit sich: Sie verstärkt die Pendel-Bewegungen zahlreicher Menschen zwischen Arbeitsplatz und Wohnung. Ein Phänomen wie die „Rush-Hour“ kann es ja nur geben, weil viele Menschen zur selben Zeit quer durch die Stadt unterwegs sind.

272 Stunden pro Jahr im Stau

Der jährlich erscheinende „Inrix Global Traffic Scorecard“-Report listete in seiner jüngsten Ausgabe weltweit Rekordwerte bei Verkehrsstaus in Städten auf: Im kolumbianischen Bogota steht demnach jeder Bewohner durchschnittlich 272 Stunden pro Jahr im Stau, in Rom sind es 254 Stunden, in Paris 237, in Berlin oder Boston immerhin noch über 150 Stunden. Lebenszeit, die Menschen wartend zwischen Stoßstangen verbringen.

Die Liste derjenigen, die zu diesem Verkehrsaufkommen beitragen, ist lang geworden: Neben Bürgern auf dem Weg zur Arbeit sind da auch zahlreiche Lieferdienste. In Deutschland hat sich der Umsatz der Kurier-, Express- und Paketdienste in nur 15 Jahren etwa verdoppelt. Rund 20 Pakete bekommt heute ein Einwohner in Deutschland, aber auch in Großbritannien oder den USA pro Jahr zugestellt – in China sind es sogar 70 Pakete pro Person. Einer der Gründe ist vor allem der stetig wachsende Onlinehandel. Einer der Megatrends, von dem ja auch die KION Group profitiert, weil damit einhergehend Warenlager und Versorgungsketten noch mehr Bedeutung erhalten.

Waren es 2015 weltweit beachtliche acht Prozent Wachstum für den Onlinehandel sind es heute bereits knapp 20 Prozent – und noch schnelleres Wachstum wird prognostiziert. Der Onlinehandel wird künftig sein Sortiment sogar noch erweitern – zum Beispiel den Bereich Lebensmittel ausbauen. Was dabei allerdings oft vergessen wird: Paketzusteller machen tatsächlich nur einen Teil des Lieferverkehrs aus. „Paketdienstunternehmen haben bei weitem die größte mediale Aufmerksamkeit“, sagt Markus Schmermund, Vice President Automation & Intralogistics Solutions bei Linde Material Handling. „Aber eigentlich reflektieren sie nur 20 Prozent der Verursacher.“

Bürger auf dem Weg zur Arbeit sowie zahlreiche Lieferdienste tragen zum hohen Verkehrsaufkommen bei.

Letzte Meile: Das teuerste Stück Weg

Die anderen achtzig Prozent, das sind zum Beispiel Apothekenzustellungen, Baustellenverkehr oder Belieferungen für Gastronomie und Einzelhandel. Allein in einer deutschen Großstadt wie Hamburg werden rund 800 Lebensmittelhändler täglich beliefert. 800 KfZ-Werkstätten erhalten mehrmals täglich Besuch von Lieferflotten. Über 400 Apotheken werden ebenfalls mehrmals am Tag versorgt. Und über 2000 Verkaufsstellen von Zeitungen und Zeitschriften bekommen morgens ihre Druckerzeugnisse zugestellt. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Das ist ein Stressfaktor für die Zusteller selbst. Die Zustellung innerhalb der Städte wird als „Letzte Meile“ bezeichnet. Sie ist in der Logistik das teuerste Stück Weg, das Ende der Wegstrecke von Produkten, die nicht selten zuvor rund um den Globus transportiert wurden. Während aber die Produktionszeit von Einzelteilen in der Fabrik mitunter noch in Sekunden berechnet und optimiert wurde, ist die Letzte Meile noch immer eine Herausforderung für Logistiker. Bis hin zum finalen Moment: Wenn die Ware an der Tür übergeben wird, ist das fast noch immer ein höchst analoger Moment – von Mensch zu Mensch. Und wenn der Empfänger gerade nicht zu Hause ist, muss der Zusteller die Fahrt möglicherweise ein zweites Mal auf sich nehmen. Was abermals das Verkehrsaufkommen erhöht. Konsequent genutzte Packstationen sind eine Lösung, hier müssen die Paketlogistikdienstleister noch besser übergreifend zusammenarbeiten. Alternativ müssten Städte und Kommunen klare Forderungen und Rahmenbedingungen vorgeben.

Die Warenzustellung innerhalb der Städte wird als „Letzte Meile“ bezeichnet. Sie ist noch immer eine Herausforderung für Logistiker.

Wie plant man Stadtplanung?

Was uns zurück zur Stadtplanung führt, die ein langfristiger und komplizierter Prozess ist. Grundbedürfnisse wetteifern mit Lebensqualität, Ökologie will mit Ökonomie vereinbart werden. Nicht alles lässt sich planen, und nicht jeder Plan entwickelt sich so wie gedacht – siehe die räumliche Trennung von Arbeiten und Wohnen. Und dann gibt es Entwicklungen, die scheinen auf den ersten Blick paradox. Wer hätte noch vor einigen Jahren gedacht, dass ausgerechnet Onlinehändler plötzlich Verkaufsräume in der Innenstadt anbieten und der Einzelhandel von der grünen Wiese zurück ins Stadtzentrum drängt? Und darüber hinaus müssen Stadtplaner auch bei den Interessen der Bewohner geradezu widersprüchliche Anforderungen händeln: „Der Bürger möchte in einer lebenswerten Stadt wohnen – aber er will auch bequem zur Arbeit kommen und seine Pakete schnell zugestellt bekommen“, umreißt Christian Jacobi, Geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmens- und Logistikberatung agiplan die Erwartungshaltung. Jacobi ist außerdem im Vorstand der Bundesvereinigung Logistik (BVL) und leitet dort den Themenkreis „Urbane Logistik“.

Er sieht die Herausforderung unter anderem darin, dass viele Akteure an der städtischen Warenversorgung beteiligt sind: Kommunalpolitik, Verwaltung und Stadtbewohner, aber auch Einzelhandel, Industrie und Logistikdienstleister. Und alle haben ihre berechtigten Interessenlagen und Vorstellungen von einem gut funktionierenden Stadtverkehr – insbesondere von einer möglichst reibungslosen Zustellung auf der Letzten Meile. In immer mehr Städten weltweit greifen Politik und Kommunen bereits mit Maßnahmen durch, um Verkehr, Lärm und Emissionsbelastung zu reduzieren. Das Konzept der autofreien Sonntage greift in Metropolen wie Paris oder Berlin um sich und lässt die Vision von autofreien Innenstädten realer erscheinen. Jacobi hält all diese Entwicklungen einerseits für verständlich, sieht drastische Regulierung aber auch mit Sorge: „Wir können die Städte nicht komplett von der Versorgung abschneiden. Vielmehr gilt es, ganzheitliche Lösungen für Mobilität und Logistik in den Städten zu schaffen, und durch neue Technologien und intelligente Verkehrssteuerung den Stadtverkehr nachhaltig zu gestalten. Dabei müssen die besonderen Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt werden: Keine Stadt ist wie die andere – so gibt es leider keine Blaupausen.“

Viele Akteure sind an der städtischen Warenversorgung beteiligt: Kommunalpolitik, Verwaltung und Stadtbewohner, aber auch Einzelhandel, Industrie und Logistikdienstleister.

Was die Stadt vom Warenlager lernen könnte

Die Analyse „Wirtschaftsverkehr 2.0“ der Frankfurt University of Applied Science stellte unlängst fest, dass gerade in Bezug auf Lieferverkehr die unterschiedlichen Bereiche einer Stadt auch sehr verschiedene Herausforderungen bieten. In der Innenstadt zum Beispiel finden bei jedem Fahrzeug-Halt besonders viele Laufwege statt – das Fahrzeug wird gewissermaßen als Depot genutzt und die Fahrer laufen einen Großteil der Sendungszustellung zu Fuß. Heißt umgekehrt auch: Die haltenden Fahrzeuge sorgen potenziell für noch mehr Verkehrsstörungen. Gerade in Mischgebieten gibt es oft wenige Parkplätze, dadurch stören Zustellerfahrzeuge umso mehr. Und in Wohnvierteln müssen die Fahrzeuge umso höhere Strecken zwischen den einzelnen Stopps zurücklegen, was wiederum die Effizienz bremst.

Eine dynamischere Routenplanung könnte die Zeit zwischen den Kunden verkürzen. Und es gibt eine Branche, die sich mit solchen Themen auskennt: Die Intralogistik. Durch jahrzehntelange Erfahrung mit Millionen von Aufträgen in Logistik- und Distributionszentren hat die Branche exzellente Grundlagen: Auch im Warenlager geht es darum, Produkte möglichst schnell von einem Punkt zum nächsten zu bringen, an den exakt richtigen Ort – damit sie anschließend dort auch wiedergefunden werden können. Intralogistik-Experten wie die KION Group könnten helfen, ein komplett neues, urbanes Steuerungssystems zu entwickeln: „Überträgt man die Prinzipien des Materialflussrechners auf den urbanen Raum, wird man hochdynamische Prozesse managen können“, sagt Schmermund.

Tatsächlich gibt es sogar viele weitere Anknüpfungspunkte: In der Intralogistik wird schon lange mit Elektroantrieb gearbeitet – und Elektrofahrzeuge könnten auch in den Städten sowohl den Lärm als auch die Schadstoffbelastung senken. Die Verbindungen sind zahlreich. Die KION Group steht sinnbildlich dafür: für E-Stapler, für Softwarelösungen, für ganzheitliches Denken oder auch für automatisierte Fahrzeuge und neue Technologien. Klar ist jedenfalls: Die Intralogistik könnte Antworten parat haben auf die Herausforderungen der Städte.

Demnächst:

Lesen Sie demnächst im 2. Teil der Serie „Urbane Logistik“: Letzte Meile – wie Dematics PackMyRide eine Antwort auf einige der Herausforderungen sein könnte.

Video

Markus Schmermund über Lösungen, die die Intralogistik für die Letzte Meile bieten kann.