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Urbane Logistik: Schneller aus dem Startblock auf die Letzte Meile

Teil 2 unserer Serie zur "Urbanen Logistik":

Dematic PackMyRide

Die Letzte Meile beginnt im Warenlager. Um die Zulieferfahrzeuge zu beladen, ist jedoch ein komplizierter Ablauf vonnöten. Das kostet Zeit und ist arbeitsintensiv. Mit den richtigen Ideen allerdings ließe sich da einiges vereinfachen. Dematic hat dazu ein Lösungskonzept.

2020-06-24

Paketzusteller, das sagt der Name, stellen Pakete zu. Das ist allerdings nicht alles. Bevor sie zustellen können, müssen sie die Pakete zunächst einmal sortieren und in die Zustellfahrzeuge einladen. Keine triviale Aufgabe: „Bevor ein Paketzusteller losfährt, hat er morgens über zwei Stunden meist schon mindestens eine Tonne an Paketen getragen“, sagt Daniel Jarr, Head of Innovation bei der KION Tochter Dematic. Eine starke physische Belastung – und zudem ein Arbeitsschritt, der vergleichsweise lange dauert und eigentlich ziemlich ineffizient ist. Kann man da nicht etwas automatisieren?

Genau das war die Frage, mit der Dematic vor einiger Zeit von einem Kunden kontaktiert wurde. Als Experte für integrierte Supply-Chain-Automatisierungstechnologie und Automatisierungssoftware hat das Unternehmen bereits Lösungen für zahlreiche Prozesse im Warenlager im Portfolio. Aber einige Teile lassen sich nicht so einfach automatisieren, und dazu gehörte bislang eben jener letzte Vorbereitungsschritt für die Paketzusteller. Im Grunde erstaunlich: Paketzentren investieren hohe Summen in moderne Sortieranlagen, die auch sehr effizient darin sind, den jeweiligen Fahrern ihre Pakete an das Abfahrts-Dock zu liefern. Aber eine Möglichkeit, die gesammelte Fracht anschließend möglichst platz- und zeitsparend in ein Regal zu verpacken, hatte bis dahin noch niemand erfunden.

Körperlich anstrengend und zeitintensiv: Bevor Paketzusteller die Sendungen ausliefern können, müssen sie sie erst einmal sortieren und in die Zustellfahrzeuge einladen. Dematic hat mit PackMyRide eine Lösung, diesen Prozess automatisieren zu können.

„Ein grundsätzliches Problem“

Das Beispiel zeigt schlaglichtartig die Situation rund um die „Letzte Meile“ auf, wo zahlreiche Arbeitsschritte noch immer von körperlicher Arbeit geprägt sind: Zusteller fahren mit Fahrzeugen bis möglichst nah vor die Haustür, übergeben die Lieferung persönlich – und sind morgens und abends zusätzlich damit beschäftigt, ihre Pakete in den Wagen zu hieven oder nicht zustellbare Ware zurück zu bringen. Nach der ersten Anfrage an Dematic wurde den Projektverantwortlichen sehr schnell klar: Das ist ein grundsätzliches Problem, das zahlreiche Zulieferer aus verschiedenen Branchen betrifft – den Paketzusteller im Einzelhandel genauso wie den Lieferanten für Ersatzteile. Jarr erzählt, er sei anfangs regelrecht auf Feldforschung gegangen, habe auf der Straße mit Zustellern gesprochen: „Da stellte sich schnell heraus, die morgendlichen zwei Stunden Ladezeit finden Sie bei fast allen.“

Die Lösung, die Dematic daraufhin entwickelte, trägt den Namen PackMyRide: ein automatisiertes System, das tatsächlich imstande ist, Pakete vom Band zu nehmen, und mit Hilfe von Algorithmen anschließend ein Regal möglichst dicht zu befüllen. Dazu konnte Dematic teilweise auf verschiedene Eigenentwicklungen zurückgreifen: „Beides ist ja Kernkompetenz von Dematic“, sagt Jarr: „Zum einen die 3D-Packalgorithmen, die auch noch berechnen können, welche Ware am besten auf welche gestapelt wird – und auch die automatisierte Anlage selbst.“ Die Herausforderung lag in diesem Fall allerdings darin, dass solche Systeme in Warenlagern meistens mit einer recht fest umrissenen Produktpalette arbeiten: Sie wissen sozusagen im Vorfeld, welche Produkte ihnen vor die Roboterfinger kommen. Bei Paketzustellern hingegen kann die Bandbreite schnell immens groß werden, und meistens ist sie recht zufällig. „Man kann die Daten nur begrenzt im Vorfeld bestimmen“, führt Jarr aus. Gewicht zum Beispiel wird von Paketzentren zwar standardmäßig erhoben – andere Daten wie Größe oder Stabilität nicht oder nur in unzureichender Güte oder zu spät im Prozess. „Also mussten wir der Anlage beibringen, selbst noch einmal nachzumessen.“

Die Branche sucht Optionen für die Zukunft

Anschließend musste das System noch lernen, wie es die Produkte tatsächlich greift und positioniert. Mit der Frage der besten Greiftechnik für Roboterarme beschäftigen sich heutzutage unzählige Ingenieure und Unternehmen. Wenig überraschend lautet die Antwort: Es kommt darauf an. Zum Beispiel, was genau gegriffen werden soll. „In diesem speziellen Fall war es aber auch eine Frage, wie wir das Paket am besten einsortieren“, sagt Jarr: „Stellen Sie sich einen großen Roboter-Greifarm vor, der ein zehn Zentimeter kleines Paket in ein handelsübliches Bücherregal einsortieren soll, und zwar in die offene Lücke neben einem größeren Paket.“ Der Greifer wäre dafür viel zu groß. Deswegen entschied sich Dematic bei PackMyRide für ein Konzept mit sehr dünnen Fingern, die in Form einer „flachen Hand“ Pakete auch in enge Öffnungen schieben können.

All das entstand auf dem sprichwörtlichen „leeren, weißen Blatt Papier“, wie Jarr es ausdrückt: „Wir sind mit fünfzig bis hundert verschiedenen Ideen gestartet und haben uns dann in Teams aufgeteilt, die eine Zeitlang im Wettbewerb zueinander gearbeitet haben“, erzählt er. Am Ende entstanden tatsächlich ein halbes Dutzend verschiedener Lösungen, deren Stärken gegeneinander abgewogen wurden, und übrig blieb jene Idee, die heute PackMyRide heißt.

Auf der „Letzten Meile“ sind zahlreiche Arbeitsschritte immer noch von körperlicher Arbeit geprägt: Zusteller beladen morgens die Fahrzeuge, übergeben die Lieferung persönlich – oder bringen nicht zustellbare Pakete in den Wagen und abends ins Lager zurück.

Gutes Ergebnis für ein Pilotsystem

Das Pilotsystem testete Dematic dann gemeinsam mit dem Projekt-Kooperationspartner DPD. Dabei sollte PackMyRide beweisen, ob es wirklich mehrere Herausforderungen auf einmal bewältigt: die Fahrer physisch zu entlasten und gleichzeitig Zeit zu sparen, die wiederum in Auslieferung investiert werden kann. „Wir haben es geschafft, gut 75 Prozent des gesamten Paketspektrums von DPD vollautomatisiert zu verladen. Das ist schon ein extrem gutes Ergebnis für ein erstes Pilotsystem“, sagt Jarr. Vor allem: Die Projektverantwortlichen von Dematic stellten fest, dass sie offenbar einen Nerv getroffen haben. Die Paketversenderbranche rechnet in den kommenden Jahren durchaus mit Wachstumszahlen im zweistelligen Prozentbereich – und geht außerdem davon aus, dass sie den zusätzlichen Bedarf an Mitarbeitern über den aktuellen Arbeitsmarkt gar nicht decken kann.

„Die Branche wird sich zwangsläufig andere Optionen anschauen müssen: Wie optimiere ich die Zustellzeiten von Fahrern, und welche Aktivitäten, die der Fahrer heute übernimmt, können vielleicht anders abgedeckt werden“, beschreibt Jarr. Umso überraschender für die Projektzuständigen von Dematic, dass es bislang noch nichts in der Richtung gab, was PackMyRide nun möglich macht. Zwar existieren große Roboter, die große Lastwagen beladen können. „Aber solch eine granulare Feinverteilung auf ein Paketzustellfahrzeug haben wir bislang nirgendwo gefunden.“

Alle Systeme sind miteinander vernetzt

Das mag auch daran liegen, dass das Warenlager und die Letzte Meile noch zu wenig in Schnittstellen denken, wie Jarr und sein Projektteam festgestellt haben: „Systemanbieter für das Warenlager überlegen noch zu selten, was eigentlich im nächsten Schritt draußen passiert“, führt Jarr aus. „Umgekehrt kümmern sich Lieferanten bisweilen noch zu wenig um Intralogistikautomatisierung.“ Eine Lehre für die Zukunft, die er für essentiell hält: Alle Systeme sind miteinander vernetzt. Ein Paket kommt immer irgendwo her und geht irgendwo hin, egal, ob man sich im Endkundengeschäft bewegt, oder bei Firmenlieferungen. An dieser Stelle sieht Jarr noch sehr viel Luft für weitere Innovationen und Entwicklungen. So wäre zum Beispiel auch vorstellbar, dass irgendwann ein Packsystem sich wiederum mit der Tourenplanung vernetzt, und Pakete in einer anderen Reihenfolge in das Transportregal lädt, wenn der Tourenplaner eine Baustelle meldet. Oder auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz, die mit jeder weiteren Ladung dazulernt. „Ich glaube, in den nächsten fünf bis zehn Jahren wird sich die Letzte Meile so massiv verändern, dass das klassische Paketversendermodell Kopf stehen wird.“

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Markus Schmermund über Lösungen, die die Intralogistik für die Letzte Meile bieten kann.