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Urbane Logistik: Wenn der Routenzug zweimal hupt

Teil 3 unserer Serie zur "Urbanen Logistik":

Technische Lösungen für die Stadt: STILL Routenzug und Linde CiTi Truck

Die Städte stehen unter Druck. Weltweit nimmt die Urbanisierung zu, der Verkehr steigt an, die Räume verdichten sich. Mittendrin müssen sich Paketzusteller ihren Weg bahnen. Dabei ähnelt die Paketzustellung in der Stadt den Abläufen des Warenlagers: Einladen, transportieren und am richtigen Ort abliefern. Ließe sich vom Lager nicht etwas auf die urbane Logistik übertragen? Zum Beispiel Routenzüge oder Hubwagen der KION Group.

2020-09-02

Die Geschichte des Routenzugs beginnt mit Milch. Das zumindest ist eine Erklärung. In der Zeit ohne Kühlschränke, als Milch noch ein verderbliches Gut war, klapperten Milchmänner und -frauen mit ihren Wägen die Haushalte ab, nahmen leere Milchflaschen mit und stellten neue vor die Tür. Noch heute werden Routenzüge im Englischen deshalb auch „Milk Run Systems“ genannt. Eine andere Herleitung verweist darauf, dass die Milchfabriken von einem Lastwagen beliefert wurden, der zuvor seine Runde bei Molkereien und Bauernhöfen drehte. Der Effekt ist in beiden Beispielen der gleiche: Ein Transportgerät sorgt mit einer zentralen Route dafür, dass Zeit und Ressourcen gespart werden.

Wenig verwunderlich also, dass der Routenzug heute eng mit „Lean Management“ verknüpft ist, der effizienten Organisation in der Wertschöpfungskette: „Alle, die mit ‚lean‘ beginnen, kommen irgendwann zum Routenzug“, sagt Herbert Fischer, Head of Tugger Train Sales & Consultancy bei STILL. In der Fabrik sieht das dann so aus: Ein verhältnismäßig kleines Fahrzeug zieht mehrere hintereinander gereihte Ladungsträger und fährt mit ihnen zum Beispiel vom Warenlager in die Produktionshalle.

Der Routenzug von STILL

Der besondere Charme: Automatisierung

STILL hat sich in den vergangenen Jahren viel mit Routenzügen beschäftigt und eigene Patente entwickelt. Denn abseits der grundlegenden Idee gibt es eine Vielzahl an denkbaren Möglichkeiten, das Konzept umzusetzen: „Die zunächst naheliegende Variante besteht darin, an einen Ladungsträger Deichsel und Räder zu schrauben“, sagt Fischer. Was auf den ersten Blick effizient und einfach ist, wird beim Rangieren aber schnell unpraktisch: Um Zugang zu den Anhängern zu bekommen, müssen sie jedes Mal an beiden Seiten entkoppelt werden. Außerdem sind solche Konstruktionen auch nicht sonderlich wendig und robust. STILL setzt deswegen bevorzugt auf ein Einschub-Konzept: In eigens gefertigte, belastbare Rahmen können von beiden Seiten Ladungen eingeschoben und wieder herausgeholt werden.

Die gesamte Idee ließe sich nun mit ein wenig Phantasie auch auf die Stadt und die Letzte Meile übertragen: In dichtbesiedelten Gebieten fährt ein Routenzug, oder nennen wir es an dieser Stelle ein „routenzugartiges Fahrzeug“, an einen zentralen Ort. Von dort aus werden die Pakete an die Haustür ausgeliefert. Der besondere Charme besteht nun darin, mindestens einen der beiden Schritte zu automatisieren: entweder den Routenzug – oder die Auslieferung. Da der Routenzug ohnehin nur immer zwischen denselben zentralen Orten pendelt, wäre eine Automatisierung einfacher als bei einem freifahrenden Fahrzeug. „Denkbar wäre zum Beispiel, dass Anwohner wissen, dass sie vor die Haustür kommen und ihre Ware abholen können, wenn ein bestimmter Ton ertönt, und dann schicken sie den Routenzug per Knopfdruck weiter“, sagt Fischer. Man kann sich ausmalen, dass es vielleicht noch eine Zeitlang dauert, bis es heißt: „Wenn der Routenzug zweimal hupt“ – aber die Idee hat Charme.

Schwärme von fahrerlosen Transportfahrzeugen

Ebenso denkbar wäre, dass die Zustellung zur Haustür automatisiert abläuft – indem kleine, fahrerlose Transportfahrzeuge (FTF) sich die Pakete vom Routenzug greifen und anschließend den kurzen Weg vom zentralen Umschlagort bis zur Haustür fahren. Alternativ auch bis zu einer Packstation oder ähnlichen dezentralen Orten. „Wir reden hier also wirklich vom letzten Stück Weg“, sagt Fischer: „Die FTF könnten dann wie ein Schwarm ein größeres Volumen gleichzeitig bedienen.“ Zumindest im Warenlager ist genau das bereits technisch möglich und wird von STILL entwickelt und umgesetzt. Fischer ist überzeugt, dass dieser Trend noch zunehmen wird. Fahrerlose Transportsysteme sind eines der Zukunftsthemen für die Intralogistik.

Noe van Bergen, Head of Automated Solutions bei STILL, hält das Prinzip fahrerloser Transportsysteme, die von einem zentralen Umschlagort aus ein konkretes Ziel ansteuern, für übertragbar auf die urbane Logistik.

Es gibt bereits Anbieter, die zum Beispiel mit Drohnen experimentieren, die von einem zentralen Umschlagplatz aus starten. Im April 2020 lieferten im Pilotprojekt eines lokalen Start-Ups in Kolumbien kleine Roboter Essen aus, um die Ansteckungsgefahr durch Covid-19 zu reduzieren.

Noe van Bergen

Für das Warenlager arbeiten die Entwickler aus allen Bereichen der KION Group unter anderem daran, dass die Fahrzeuge auch dann reibungslos funktionieren, wenn gleichzeitig Menschen unterwegs sind. Hier erhofft sich Noe van Bergen auch dadurch positive Effekte, weil die Autoindustrie derzeit ähnliche Forschungen betreibt.

Größter Unsicherheitsfaktor – der Mensch

„Vieles können wir schon, wir haben Abstandshalter, GPS – aber das größte Problem ist nach wie vor der Mensch“, bekräftigt Fischer. Denn der Mensch ist deutlich schwerer zu berechnen als jedes Fahrzeug. Genau diesen Herausforderungen werden sich auch alle stellen müssen, die in der Letzten Meile Erfolg haben wollen. Hinzu kommt die Frage der Präzision: „Wenn wir annehmen, dass das Transportfahrzeug am Ende vor einem Wohnblock mit 60 Adressschildern steht, dann sollte es auch den richtigen Briefkasten erwischen“, formuliert es van Bergen. Auch das sind Thematiken, mit denen sich Ingenieure der KION Group beschäftigen – zum Beispiel, wenn es darum geht, unter einer Vielzahl von Paketen das exakt richtige zu greifen und an die korrekte Stelle einzulagern. Die Frage, die daran anschließt, ist auch: Was passiert, wenn ein Fahrzeug ein Problem hat? Im Lager könnte ein Mitarbeiter loslaufen und den Fehler beheben – funktioniert das Prinzip aber auch, wenn das Auslieferfahrzeug an der Bordsteinkante halt machen muss, weil es sie nicht hochkommt?

Bordsteine stellen in der Belieferung eine Herausforderung für den Zustellfahrer dar. Denn der körperliche Aufwand auf dem Fußweg vom Auslieferfahrzeug bis zur Übergabe an den Empfänger ist durchaus beachtlich und belastend. Hier wiederum gibt es aus dem Warenlager Lösungen, die tatsächlich schon lange erprobt und im Einsatz sind: der Linde CiTi Truck zum Beispiel, ein sogenannter Hubwagen. Im Lager sind Hubwagen mit ihren zwei langen Zinken überall dort nützlich, wo Waren auf engem Raum ebenerdig von einem Mitarbeiter über eine kürzere Strecke umgelagert werden müssen. Sie sind klein, wendig, lassen sich ziehen oder schieben. Genau diese Stärken können die Hubwagen auch auf der Letzten Meile ausspielen, allerdings ist Ziehen und Schieben auf Kopfsteinpflastern sowie Wuchten über Absätze und Rampen noch immer eine körperliche Herausforderung. „Der Linde CiTi Truck hat einen elektrischen Antrieb, das ist ein großer Vorteil, und er kann Bürgersteige bewältigen“, erklärt Markus Schmermund, Vice President Automation & Intralogistics Solutions bei Linde Material Handling.

Der Hubwagen CiTi Truck von Linde MH.

Eine passgenaue Lösung für den Auslieferalltag

Damit ist er ein ideales Gerät, um schon hier und heute Waren vom Lieferwagen bis zum Empfänger zu befördern. Zum Beispiel bei Zulieferungen für den Einzelhandel oder Restaurants – bis zu 500 Kilo Waren können auf Paletten auf dem CiTi Truck gestapelt werden. „In der täglichen Zustellung werden bereits Flurförderzeuge auf solchen Strecken eingesetzt – aber oft nicht die richtigen“, beschreibt Schmermund. Die simplen Varianten ohne elektrischen Antrieb bieten wenig echte körperliche Entlastung – während die großen, schweren Lagertechnikgeräte schlichtweg nicht für Kopfsteinpflaster, Schlaglöcher und Bordsteine gemacht sind, wie Schmermund erklärt: „In solchen Geräten ist hochwertige Elektronik, die unter diesen Bedingungen Schaden nimmt.“

Hinzu kommt der Lärmpegel, den schwere Geräte verursachen. „Wenn Sie an die Herausforderungen von Zustellungen in der Stadt denken, dann ist Lautstärke auf jeden Fall eine“, gibt Schmermund zu bedenken. „Niemand möchte morgens um fünf Uhr durch die Warenanlieferung geweckt werden.“ Der Linde CiTi Truck hingegen fährt auf geräuscharmen Spezialrollen.

Die gleichen Themen für die Letzte Meile

Es ließe sich also einiges lernen und direkt übernehmen aus der Intralogistik für die urbane Logistik. Entweder ganz konkrete Anwendungen wie den Linde CiTi Truck. Oder im übertragenen Sinn das Know-how, das Intralogistiker der KION Group aus dem großen Bereich Routenzug und Automatisierung in den vergangenen Jahren gesammelt haben. „Es ist auf jeden Fall ein sehr spannendes Feld“, bilanziert Fischer: Automatisierung, bis hin zum autonomen Schwarmverhalten, gebündelte Transporte und die Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine – alle diese Themen werden sowohl für die Intralogistik, als auch auf die urbane Logistik künftig entscheidend werden. Auch, wenn es auf einem Produktionsgelände eher möglich ist, die Umgebung so anzupassen, dass die Lieferfahrzeuge damit zurechtkommen. Andererseits: Warum sollte das perspektivisch nicht auch in der Stadt möglich sein? Vielleicht fahren dann tatsächlich Routenzüge bis vor die Häuser und hupen zwei Mal.

Demnächst

Lesen Sie demnächst im 4. Teil der Serie „Urbane Logistik“: Die neue Einzelhandels-Realität: Micro-Fulfillment von Dematic.

Video

Markus Schmermund über Lösungen, die die Intralogistik für die Letzte Meile bieten kann.