Virtuelle Vorbereitungen, reale Umsetzungen
Wieder das Bild eines Gabelstaplers, der immerzu seine Runden dreht und über Hindernisse holpert. Doch diesmal hört man kein schweres Schlagen in weitläufigen Lagerhallen. Es handelt sich um seinen digitalen Zwilling, dargestellt von unzähligen geometrischen, virtuellen Elementen. Auf den Bildschirmen der Berechnungsingenieure ist eine Rundlaufsimulation zu sehen, die den Gabelstapler über die Hindernisse der virtuellen Teststrecke fahren lässt. Dabei werden im Programm Kräfte ausgelesen, die in der Realität nur mit aufwendigen, physischen Sensoren erfasst werden können. So zum Beispiel bei den kritischen Verbindungsstellen zwischen einzelnen Komponenten. Virtuelles Testing schafft hier Transparenz, die dem physischen zum Teil abhanden geht.
Doch Transparenz ist bei weitem nicht der einzige Vorteil. Mohamed Ben Ayed, Leiter für Calculation/Simulation bei KION, zückt eine Büroklammer, um einen weiteren zu demonstrieren. Er zieht den Metalldraht immer weiter auseinander und belastet ihn gezielt an mehreren Stellen, immer wieder. „Das Material leidet“, demonstriert er. Wieviel hält es aus? Um das rauszukriegen, muss man in der Realität neben Material vor allem eins aufwenden: Zeit. Virtuelle Spannungs- und Lebensdauerberechnungen verschaffen hier Abhilfe: Sie erlauben es, die Lebensdaueranforderungen an die Komponenten schnell zu überprüfen, auch, wenn beispielsweise die Materialzusammensetzung geändert werden soll. Denn das kann durch das gezielte Verändern von Parametern geleistet werden, anstatt dass die Komponente neu gebaut werden muss. All das verkürzt den Entwicklungsprozess deutlich und spart Ressourcen ein.
Datenerhebung in der Konzeptphase als Stunde der Wahrheit
Der Entwicklungsprozess ist auf die Beantwortung wichtiger Fragen angewiesen: Geht das Konzept in der Realität auf? Halten die Materialien die Belastungen aus? Antworten auf diese Fragen liefern vor allem Spannungs- und Lebensdauerberechnungen. Keine Vermessung, kein Prototypbau – zuallererst berechnen die Simulationsingenieure von STILL und Linde MH die Eigenschaften der Komponenten. Sollten ihre Kalkulationen und die daraus folgenden Ergebnisse zufriedenstellend sein, geht man zum Bau des Prototypen über. Die Konzeptphase ist also schon lange keine Phase reiner Ideenfindung mehr: Sie generiert valide Daten, die aus dem Entwicklungsprozess nicht mehr wegzudenken sind. Ein gutes Beispiel hierfür: Der Impact Drop Test. Aus Teil 1 unserer Themenreihe dürften die Bilder noch bekannt sein: Tonnenschwere Holzbündel, die auf das Dach des Gabelstaplers herunterfallen und Klarheit über die Widerstandsfähigkeit der Kabine verschaffen. Anstatt jedoch die Beschädigung zahlreicher Dächer in Kauf zu nehmen, werden im Vorfeld Berechnungen zur Verformung dieses Bauteils durchgeführt.
Simulationsingenieure betreiben also Detektivarbeit: Sie finden heraus, wo die Schwachstellen der Materialien liegen könnten – bevor man sie baut. Dabei werden nicht nur oberflächlich einwirkende Kräfte untersucht, sondern auch Temperaturverteilungen – und zwar innerhalb der Gabelstapler. Mithilfe von CFD-Strömungssimulationen wird im Vorfeld sichergestellt, dass die Komponenten nicht überhitzen. Das betrifft vor allem die Be- und Entlüftung innerhalb der Fahrzeuge. Funktioniert die Kühlung, wie sie soll? Welche Temperaturen stellen sich ab wann ein? Fragen, die das virtuelle Testing beantwortet.