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CEO Gordon Riske verabschiedet sich zum Jahresende 2021 von KION

Globalisierung, Automatisierung, Digitalisierung und Elektrifizierung – für Gordon Riske waren und sind die Megatrends der Gegenwart in der eigenen Biografie verankert. Es ist kein Zufall, dass die KION Group nach 14 Jahren unter seiner Führung sich genau dort positioniert hat.

2021-12-20

Als Gordon Riske 2007 zum CEO der KION Group berufen wird, ist der Konzern noch fokussiert auf das klassische Staplergeschäft. Automatisierung und Digitalisierung sind in der gesamten Intralogistik Begriffe, die erst langsam mit Leben befüllt werden. Und obwohl das Tochterunternehmen Linde Material Handling schon im chinesischen Xiamen produziert, wirkt die Intralogistik-Welt aus der Rückschau viel kleiner: Ein chinesischer Produzent auf einer Messe wird von den Fachmedien zu dieser Zeit noch als Exot wahrgenommen, die lukrativen Märkte für Staplerproduzenten liegen in Europa und Nordamerika. Das alles wird sich in den folgenden Jahren deutlich ändern. Und wie sich KION heute in dieser veränderten Welt positioniert, trägt eindeutig Riskes Handschrift: Ein globaler Konzern, der die Zukunftstrends seiner Industrie definiert und vorwegnimmt.

Seit 2007 am Steuer: Gordon Riske

„Überall auf der Welt Zuhause“

Gordon Riske hat die internationale Ausrichtung von KION konsequent vorangetrieben. Als der Konzern 2016 Dematic kauft, wird das primär interpretiert als ein wichtiger Schritt in Richtung Automatisierung von Lagerlogistik – zu Recht. Es ist aber auch eine sehr bewusste Entscheidung zur globalen Positionierung des Komplettanbieters für Intralogistiklösungen. Denn es gab durchaus Alternativen. „Wir hatten auch Alternativen vor Augen, die vor allem eine Position in den USA besaßen“, erzählt Riske heute: „Und das war für KION eigentlich zu wenig.“ Dematic hingegen verfügte neben seinem starken Nordamerikageschäft zusätzlich über Standbeine in Europa und Asien. Ein Schlaglicht für die globale Orientierung von KION. Genauso wie der Zukauf der chinesischen Marke Baoli, mit der sich wiederum Märkte weltweit für den Konzern öffnen. Global zu denken ist schon in Riskes Biografie angelegt: In den USA wächst er als Sohn von Flüchtlingen auf, seine Eltern stammen aus Deutschland und dem Gebiet der heutigen Ukraine. Zu Hause wird Deutsch gesprochen, sein Englisch ist anfangs mäßig, doch das ändert sich in der neuen Heimat schnell: „Wenn man in so einem Umfeld groß wird, ist man überall zu Hause“, sagt Riske. Und genau das lebt er auch als CEO. Enge Mitarbeiter erzählen, dass Riske nachdrücklich bis in entlegene Standorte gereist sei, um vor Ort präsent zu sein und den Menschen zuzuhören. „Ich habe mich immer zu Hause gefühlt in den Werken und Niederlassungen“, erzählt Riske.

Vorausschauender Konzernlenker: Gordon Riske im Jahr 2008.

Auch dass er früh andere Zukunftstrends erkennt, ist kein Zufall. Seine Karriere startet Riske als Werkstudent bei einem US-Unternehmen für Werkzeugmaschinen. Riske bemerkt dort, dass viel Zeit damit verschwendet wird, manuell nach Fehlern zu suchen, und entwickelt deswegen einen Prüfstand. „Ich habe mich immer gerne in Aufgaben hineingegraben“, sagt er. Sein Interesse für Technik reicht von Beginn an über den beruflichen Aspekt hinaus. „Er war stets ein Vorreiter, er hatte oft die neuesten Geräte, bevor sie in Deutschland erschienen sind“, erzählt Sabine Ohlenmacher, die Riske als Assistentin der Geschäftsleitung fast von Beginn an begleitet hat. Regelmäßig seien Pakete „mit Kabeln und Steckern“ im Büro angekommen: „Er wollte sich immer selbst mit technischer Unterstützung optimieren, und genau das hat er auch auf KION übertragen.“ Riske lebt der Belegschaft den Wandel in Richtung Digitalisierung und Automatisierung vor und übersetzt ihn in den Kontext der Intralogistik. Er ist überzeugt, dass darin eine gewaltige Chance für KION liegt und ist entschlossen, sie zu nutzen.

Beginn einer starken Partnerschaft: 2012 steigt Weichai Power bei der KION Group ein.

Ruhe im Chaos ausstrahlen

„Spätestens nach dem Börsengang 2013 war mir klar, dass unsere Staplerwelt in Richtung Elektronik steuert“, sagt er rückblickend. Ihm war schnell bewusst, dass autonome Fahrzeuge und vernetzte Systeme die Lagerhallen erobern werden. Konsequenterweise verkauft KION erst die Hydraulics-Sparte an Weichai und befreit sich damit von einem sehr kapitalintensiven Geschäft. Parallel hält man Ausschau nach Unternehmen, die das Portfolio ergänzen, wie Egemin oder Retrotech. Unternehmen, die auf digitale oder automatisierte Intralogistiklösungen setzen. Mit Dematic gelingt Riske der entscheidende Coup. Aus heutiger Sicht erscheint es völlig logisch, das Staplergeschäft durch Automatisierungstechnologien im Bereich der Warenlager und Distributionszentren zu komplementieren: Kunden fragen immer seltener nach Produkten, sondern nach (kompletten) Intralogistik-Lösungen – und das kann je nach Problemstellung ein Schmalgangstapler oder eine Sortiermaschine sein. Zum damaligen Zeitpunkt aber galt der Kauf von Dematic durchaus als Risiko – und als teures Investment. Die Börsen reagieren zunächst zögernd bis skeptisch. Riske hingegen ist immer von Dematic überzeugt. Er sieht das Potenzial, und weiß auch, dass „wenig negative Synergien“ bestehen, wie er es formuliert: Dematic und KION ergänzen sich gut, gleichen gegenseitige Schwachstellen aus.

Angekommen auf dem Parkett: Der Börsengang 2013.

Aber nicht alles lässt sich voraussehen. Bereits kurz nach seinem Beginn bei KION schlittert die Welt 2008 in eine Wirtschaftskrise, von der auch die Intralogistik betroffen ist. „Das war existenzbedrohend“, sagt Riske aus der Rückschau. Der Vorstand schafft es aber, die notwendigen Kredite zu organisieren und durch die Krise zu kommen. Eine andere unvorhergesehene Krise beschäftigt den Konzern seit 2020: die Corona-Pandemie. Zu diesem Zeitpunkt aber ist die KION Group sattelfest aufgestellt, der CEO verweist mit einer gewissen Portion Stolz auf die hervorragenden Bonitätsnoten. „Wir wussten nicht, was passiert, niemand wusste das, aber wir kamen gut in den Markt zurück“, sagt Riske. Krisenmanagement als Teil des Jobs – und Riske strahlt die erforderliche Ruhe aus. Darauf angesprochen wiegelt aber er ab: „Das war nicht immer so“, sagt er: „Ich hatte nur das Glück, gute Mentoren zu haben.“ Ruhe im Chaos, das habe er zum Beispiel von Hans-Jürgen Wischnewski gelernt, dem Staatsminister, der die Flugzeugentführung der „Landshut“ verhandelte: „Wenn Sie unruhig werden, überträgt sich das auf Ihr Umfeld und Sie erreichen nichts – das hat er mich gelehrt.“ Eine offenkundig nachhaltige Begegnung: Gordon Riske ist ein Mensch, der – zumindest nach außen – in sich ruht. Gleichzeitig ist ihm eine gewisse Bodenständigkeit zu Eigen. Immer wieder erzählen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dass der Vorstandsvorsitzende, der ihnen zunächst etwas distanziert vorgekommen sei, sich im persönlichen Gespräch viel Zeit genommen habe. „Er war kein Mensch der großen Worte“, drückt es Ohlenmacher aus: „Aber er hat sich immer sehr für Menschen interessiert.“

Starke Nerven als Kardinaltugend im Management: "Wenn Sie unruhig werden, überträgt sich das auf Ihr Umfeld und Sie erreichen nichts", sagt Gordon Riske.

„Wandel wird nie aufhören“

Gordon Riske hat die KION Group in den vergangenen 14 Jahren geprägt. Und gleichzeitig demonstriert, wie wichtig es ist, Wandel frühzeitig vorauszusehen. „Wandel wird nie aufhören“, sagt er zum Abschied. Was ein wenig nach Binsenweisheit klingt, verkörpert gleichzeitig Riskes unbedingte Überzeugung, weiter in Zukunftstechnologie zu investieren: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir in zehn Jahren noch viele Stapler mit Dieselmotoren haben – wenn überhaupt, dann als Nischenprodukt. Und ein großer Teil der nachhaltigen Flurförderzeuge wird vermutlich autonom fahren.“

"Wandel wird nie aufhören": Gordon Riske bei der Hauptversammlung der KION GROUP AG 2021.

Auch wenn er als CEO aufhört, sein Interesse an den ökonomischen und globalen Themen bleibt. In den vergangenen Jahren hat er bereits begonnen, sich stärker sozial zu engagieren, insbesondere über die Hertie-Stiftung, die sich mit gesellschaftspolitischen Themen ebenso auseinandersetzt wie mit Neurowissenschaft und Bildung. Ausruhen und Briefmarken sammeln, das sei eher nicht so sein Ding. Stattdessen lieber „in Aufsichtsräte mehr Unternehmertum bringen“. „Er war bescheiden und wollte immer Dinge bewegen, ohne sich dabei in den Vordergrund zu spielen“, sagt seine Weggefährtin Ohlenmacher. Vielleicht passte Gordon Riske, der seine Karriere nicht in der Intralogistik begann, deswegen auch so gut in die Branche: Dinge im Hintergrund bewegen, um die Welt am Laufen zu halten – wie treffender könnte man Intralogistik beschreiben?!

Trug nicht nur Verantwortung: Auf der Weihnachtsfeier im Jahr 2011.