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"Es ist mir wichtig, mich ständig weiterzuentwickeln"

Dr. Christina Reuter ist seit 2016 Mitglied im Aufsichtsrat der KION GROUP AG. Im Interview haben wir Deutschlands jüngste Aufsichtsrätin zu ihrer Arbeit, ihrer Motivation und ihrer Meinung zur Frauenquote befragt.

2018-01-26

Frau Dr. Reuter, Sie sind mit 32 Jahren Deutschlands jüngste Aufsichtsrätin – Wie wird man das?

Ich bin von einem externen Personalberater auf das Aufsichtsratsmandat bei KION angesprochen worden. Ich war zu dem damaligen Zeitpunkt Abteilungsleiterin für Produktionsmanagement am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) in Aachen und hatte unter anderem eine Demonstrationsfabrik für Industrie 4.0 mit aufgebaut. Es folgten einige Gespräche, unter anderem mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. John Feldmann, die letztendlich dazu geführt haben, dass ich bei der Hauptversammlung 2016 zur Wahl als neues Aufsichtsratsmitglied vorgeschlagen wurde.

Wie sieht Ihre Arbeit im Aufsichtsrat der KION GROUP AG konkret aus?

Der Aufsichtsrat wird in alle wesentlichen Entscheidungen des Unternehmens eingebunden, berät den Vorstand in wichtigen Fragen der Unternehmensleitung und überwacht die Führung der Geschäfte durch den Vorstand. Es gibt regelmäßige Sitzungen des Aufsichtsrats, in denen zum Beispiel aktuelle Geschäftsentwicklungen, wesentliche Geschäftsvorfälle, die strategische Ausrichtung des Unternehmens oder Themen zur Corporate Governance mit der Unternehmensleitung besprochen und vom Aufsichtsrat hinterfragt werden. Darüber hinaus finden Telefonkonferenzen insbesondere zu Informationszwecken und bilaterale Abstimmungen statt. In regelmäßigen Abständen finden Besuche des Aufsichtsrats in den Werken des Unternehmens statt.

Nach dem Studium haben Sie am WZL promoviert und waren dann dort als Abteilungsleiterin am Lehrstuhl für Produktionssystematik tätig, bevor Sie schließlich zur Airbus Defence and Space GmbH gekommen sind. Welche Erfahrungen können Sie durch Ihre berufliche Laufbahn in den KION Aufsichtsrat einbringen?

Während meiner Zeit am WZL habe ich vielfältige Erfahrungen im Bereich Produktionsmanagement und Logistik gesammelt. 2012 konnte ich für unseren Lehrstuhl eines der bundesweit ersten Forschungsprojekte im Kontext von Industrie 4.0 akquirieren, in dem die hochauflösende Produktionssteuerung auf Basis von intelligenter Sensorik im Fokus stand. Seitdem hat mich das Thema rund um Industrie 4.0 und digitaler Transformation sowohl in Forschungs- als auch in Beratungsprojekten mit Industrieunternehmen begleitet. Parallel haben wir eine Demonstrationsfabrik für Industrie 4.0 in Aachen aufgebaut, in der verschiedenste neue Lösungen exemplarisch getestet und für die Prototypenfertigung von Elektrofahrzeugen eingesetzt werden. Im Aufsichtsrat von KION kann ich daher unter anderem meine Expertise zu Industrie 4.0, neuen Technologien und Geschäftsmodellen sowie zu digitalen Produktionssystemen einbringen.

Warum haben Sie sich während des Studiums für ein Auslandsjahr in China entschieden und inwiefern hat es Sie geprägt?

Es gab für mich zwei Gründe, die für die Entscheidung, ein Auslandsjahr in Peking zu absolvieren entscheidend waren: Erstens hat mich gereizt, China als aufstrebende Wirtschaftsmacht kennenzulernen, die Kultur zu erleben und mehr über Land und Leute zu erfahren. Ich hatte zuvor bereits viele westliche Länder besucht, Asien war für mich jedoch noch fremd. Zweitens hatte die RWTH Aachen University bereits seit vielen Jahren ein Austauschprogramm mit der Tsinghua University in Peking. Die Tsinghua University ist eine der besten Universitäten weltweit, so dass ich davon ausgehen konnte, auch fachlich keine Abstriche im Vergleich zu meinem deutschen Studium machen zu müssen.

Sie haben nicht nur ein Auslandsjahr absolviert, sondern auch noch promoviert und stehen in recht jungem Alter in verantwortungsvoller Position im Beruf. Was treibt Sie an, was motiviert Sie?

Für mich ist es wichtig, mich ständig weiterzuentwickeln und zu lernen. Ich suche herausfordernde Umfelder, in denen ich von anderen lernen und gleichzeitig meine Expertise einbringen kann. Darüber hinaus ist es für mich wichtig, mit Menschen zu arbeiten. Für mich ist es spannend herauszufinden, wie die individuellen Stärken von Mitarbeitern so eingesetzt werden können, dass am Ende ein besseres Ergebnis entsteht als wenn jeder alleine „kämpft“.

Seit 2016 gibt es eine Frauenquote für neu zu besetzende Aufsichtsratsposten in großen deutschen Unternehmen. Wie stehen Sie als Frau dazu? Wie empfinden Sie die Arbeit im Kreis der Männer?

In meinen Augen muss die Frauenquote differenziert betrachtet werden. Auf der einen Seite ist es natürlich nicht erstrebenswert, in eine Position nur wegen des Geschlechts zu kommen. Bei der Besetzung von Stellen sollte immer die Qualifikation sowie die Eignung in Bezug auf die Stellenanforderungen im Vordergrund stehen. Es muss zusätzlich bedacht werden, dass in einigen Themenfeldern die Zahl weiblicher Studierender bereits sehr gering ist und daher nur wenig Frauen in diesen Arbeitsbereichen anzutreffen sind. Auf der anderen Seite ist jedoch auch zu beobachten, dass insbesondere in höheren Managementetagen häufig noch ein veraltetes Rollenverständnis vorliegt und es für Frauen dann fast unmöglich ist, höhere Managementpositionen zu erlangen. Ich glaube daher, dass eine – vielleicht auch individuelle - Frauenquote notwendig ist, um für dieses Ungleichgewicht auf Führungsetagen zu sensibilisieren und die vermeintlich abgeschotteten Männernetzwerke für Frauen zugänglich zu machen. Nur auf die Eigenmotivation der Unternehmen zu setzen scheint nicht ausreichend zu sein.
Für mich ist die Arbeit im Kreis von Männern selbstverständlich. Bereits seit meinem ersten Studientag bin ich in einem männerdominierten Umfeld tätig, so dass ich dieses gar nicht als etwas Außergewöhnliches wahrnehme.

Welche Karriere-Tipps können Sie Frauen geben?

Junge Menschen sollten auf ihre Stärken vertrauen und ihre Leidenschaft zum Beruf machen. Besonders Frauen rate ich, sich nicht von Themen oder Studienfächern abschrecken zu lassen, die vermeintlich eher von Männern besetzt werden. Praktika helfen beispielsweise, eigene Erfahrungen zur Unterstützung der Berufsfindung zu machen. Im Berufsleben ist es wichtig, sich ein Netzwerk aufzubauen und Mentoren und Förderer zu finden, die einen in der Erfüllung der eigenen Ziele unterstützen.

Ihr Fach – Maschinenbau – gilt nach wie vor als Männerdomäne. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass sich verhältnismäßig wenig Frauen dafür gewinnen lassen und was müsste sich ändern, um mehr junge Frauen für das Fach zu interessieren?

Ich habe den Eindruck, dass Kinder und Jugendliche schon früh in geschlechterspezifische Schubladen gesteckt werden. Überspitzt gesagt: Mädchen spielen mit Puppen, Jungen mit Feuerwehrautos. Sowohl Eltern als auch Erzieher und Lehrer sollten meiner Meinung nach offener die Stärken und Interessen der Kinder fördern. In den Schulen fehlt es außerdem meiner Meinung nach an vernünftiger Wissensvermittlung und Studiumsvorbereitung. Wenn ich in Schulen Werbung für technische Studienfächer mache, sind insbesondere die jungen Frauen total überrascht, was sich alles dahinter verbirgt und welche Zukunftsmöglichkeiten damit offen liegen.

Sie waren auch noch nach Ihrer Promotion an der Universität in Aachen tätig. Wie wichtig ist Ihrer Meinung nach die Beziehung von Wissenschaft und Industrie? Sollte KION enger mit Universitäten zusammenarbeiten?

Ich halte eine gute Vernetzung zwischen Wissenschaft und Industrie für wichtig, da beide Seiten davon profitieren können. Die Wissenschaft ist gewinnbringend, wenn sie die Herausforderungen der Industrie kennt und diese zielorientiert in der Forschung bearbeitet. Gleichzeitig profitiert die Industrie von den Forschungsergebnissen und erhält Zugang zum neusten Stand der Technik. So entsteht eine Art Symbiose zwischen Wissenschaft und Industrie.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Woran haben Sie Freude außerhalb des Berufs? Und haben Sie überhaupt (noch) Zeit dafür?

Ich versuche, so viel Zeit wie möglich mit meiner Familie zu verbringen. Die Familie steht für mich an oberster Stelle. Außerdem reite ich seit meiner Kindheit und bilde junge Dressurpferde aus. Für mich ist das ein toller Ausgleich. Sicherlich bedarf es einer guten Organisation und eines unterstützenden Umfelds, um alles unter einen Hut zu bekommen.